Der Jüngstre Tag
endlich allein.
Steven machte das Vorsegel los und nahm mit der Archangel Kurs auf Rakino Island. Die Tatsache, dass Christophers Leichnam nicht begraben worden war, war für Steven ein klarer Hinweis darauf, dass Sarah und Katie nach dem Tsunami nicht nach Gulf Harbour zurückgekehrt waren. Er hoffte, dass die Raconteur an das Ufer einer Insel in dem Golf geschwemmt worden war und dass Sarah und Katie sich in der Nähe aufhielten.
Als das Schiff gute Fahrt machte, übergab Steven das Ruder an Penny und betrachtete durch das Fernglas die Südstrände der Whangaparaoa Peninsula. Als er und sein Vater vor zwei Jahren nach England aufgebrochen waren, hatten sie viele Schiffe gesehen, die an die Küste geschwemmt worden waren. Auf diesen Schiffen waren die Bewohner von Auckland vor dem Chaos geflohen, das die Super-SARS-Pandemie ausgelöst hatte. Doch die Flucht in den Golf bescherte ihnen nur eine kurze Galgenfrist. Die Menschen, die noch nicht krank waren, zeigten schon bald Symptome der Krankheit. Zuerst wurden die Leichen beschwert und über Bord geworfen. Später wurden sie nur noch ins Wasser geworfen, sodass sie an den Strand geschwemmt und dort von Möwen, Ratten und streunenden Hunden bis auf die Knochen abgenagt wurden. Die letzten Leichen verwesten in ihren Kojen, bis das Schiff im Sturm zerschellte oder unterging.
Steven hatte große Hoffnung, die Raconteur zu finden, falls sie den Tsunami überlebt hatte. Er würde die Jacht sofort erkennen, wenn er sie sah. Es war ein Motorsegler, den John Lidgard – ein bekannter Bootsbauer und Konstrukteur aus Auckland – konstruiert und gebaut hatte.
Zuerst segelten sie nach Tiritiri Matangi, die felsige Insel am Ende der Whangaparaoa Peninsula. Sie hatte nur zwei kleine Strände und war keine beliebte Anlegestelle. Steven verschaffte sich einen schnellen Überblick und stellte fest, dass dort keine Wracks lagen. Also segelte er weiter in Richtung Rakino Island.
»Es ist wunderschön hier«, sagte Penny. Sie stand am Ruder des Schiffes und steuerte das Schiff in die Woody Bay auf der Westseite der Insel. Steven legte seinen Arm um ihre Schultern.
»Ist es«, pflichtete er ihr bei. »Als ich das letzte Mal in dieser Bucht war, lagen hier viele Jachten vor Anker.« Die Erinnerung jagte ihm einen kalten Schauer über den Rücken. Die Schiffe waren voller Leichen gewesen, alles Opfer der Pandemie.
Jetzt ankerte in der Bucht kein einziges Schiff, und oben am Strand lagen nur wenige Wracks. Drei Schiffe waren auf die niedrigen Felskuppen am Ostende der Bucht gehoben worden. Ihre Lage zeigte, bis wohin die Flutwelle gestiegen war.
»Wir segeln um die Insel herum und fahren dann weiter nach Waiheke Island«, sagte Steven, der das Vorsegel ausrichtete und die Archangel auf den richtigen Kurs brachte.
Bei ihrer Umrundung von Rakino Island entdeckten sie ein paar Schiffe am Strand der Maori Bay, aber es waren größtenteils kleine Schiffe, und keines ähnelte der Raconteur .
Als sie zwischen den Inseln Rakino und Motutapu hindurchsegelten, streckte Steven den Arm aus. »Diesen Vögeln sind Katie und Sarah gefolgt«, erklärte er Penny und Lee. Hunderte von Tölpeln flogen wie ein Geschwader von Kampfflugzeugen durch die Luft. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt, als sie ihre Flügel anlegten und im Sturzflug ins Meer unter ihnen eintauchten. Im Wasser tummelten sich australische Lachse, die Sprotten jagten. Die Wasseroberfläche schien förmlich zu brodeln, als die wilde Jagd auf den Fischschwarm begann. Auch die Seeschwalben ließen sich das Festmahl nicht entgehen. Sie schwebten anmutig über den Wellen, ehe sie abtauchten, um sich ihren Anteil zu sichern.
»Es ist wirklich erstaunlich«, sagte Steven, der das Schauspiel beobachtete. »Ich habe noch nie so große Fischschwärme hier gesehen. Und ich habe auch nie zuvor so viele Vögel gesehen. Das zeigt nur, wie sehr die Natur vor der Pandemie unter der Überfischung gelitten hat.«
»Delfine!«, schrie Lee, der am Bugkorb stand.
»Ich übernehme das Ruder«, bot Steven an. »Geh zu ihm.« Penny gesellte sich zu ihrem Sohn. Gemeinsam beobachteten sie fasziniert eine Schule von Delfinen, die sich in der Bugwelle der Archangel tummelten. Sie schwammen unter dem Rumpf hin und her, bliesen Gischtfontänen in die Luft und sprangen ab und zu aus dem Wasser.
Trotz der neuerlichen Verluste und Rückschläge hatte Steven das Gefühl, nicht glücklicher sein zu können. Fröhliche Schreie vom Bugkorb hallten durch die
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