Der Jukebox-Mann
winkte ihnen zu.
»Falls du fährst, Johnny, bring Lennart erst ins Lisas .«
»Wieso?«, fragte Lennart.
»Tschüs dann.«
Sie schlängelte sich zwischen den Tischen hindurch zum Ausgang. Die Männer zogen die Beine an. Die Sonne vorm Zelt wirkte grell. Jetzt merkte Johnny, wie warm es hier drinnen war. In der Zeltöffnung drehte Elisabeth sich um und winkte ihnen noch einmal.
»Als ob sie verreisen würde«, sagte Lennart.
»Vielleicht morgen«, sagte Johnny.
»Fahren wir morgen zu diesem Motel?!«
»Mal sehen, was deine Mutter davon hält.«
»Klar will sie fahren«, sagte Lennart. »Wir fahren sonst nie irgendwohin.«
Lennart schnappte plötzlich nach Luft.
»Wir haben vergessen, die Glückstüten aufzumachen!«
Sie lagen auf einem der Stühle am Tisch.
»Das machen wir, wenn wir nach Hause kommen«, sagte Johnny. »Kannst du so lange warten?«
»Okay.«
Johnny war aufgestanden, als Elisabeth sich verabschiedet hatte. Er setzte sich wieder und trank seinen Kaffee aus, der inzwischen kalt geworden war. Elisabeth hatte ihren Kopenhagener nicht gegessen. Fliegen surrten über der Zuckerglasur. Er wedelte sie weg.
»Den bewahren wir uns für später auf«, sagte Lennart.
Johnny nickte. Er sah Elisabeth vor seinem inneren Auge. Heute Nacht hatte er ihr von Ingrid erzählt. Das ist auch ein Job, hatte sie gesagt, als ob es wirklich ein Job wäre.
»Wahrscheinlich schließt sie die Augen, wenn sie da vorn steht«, hatte Elisabeth gesagt.
»Soweit ich weiß, ja.«
»Klar ist es schwerer, wenn man älter wird.«
»Warum?«
»Ein Grund ist sicher, dass es nicht viel anderes gibt, was man tun könnte«, hatte Elisabeth gesagt, »selbst wenn man es wollte.«
»Ja.«
»Hast du etwa gedacht, ich möchte mein ganzes Leben lang Verkäuferin bei Lisas sein?«
»Darüber brauchst du jetzt ja nicht länger nachzudenken, Elisabeth.«
»Nein. Vielleicht sollte ich mich sogar beim Konditor bedanken. Mich ganz ausdrücklich bedanken.« Sie hatte sich auf den Ellenbogen gestützt. »Angenommen, ich wäre geblieben. Wie wäre es mir dann in zehn Jahren gegangen? Besser? Schlechter? Wie Ingrid?« Sie hatte ihn in der Dunkelheit angeschaut. »Zwischen Ingrid und mir besteht kein Unterschied.«
»Der Unterschied besteht darin, dass sie ihren Job noch hat«, hatte er gesagt. »Was das nun wert sein mag.«
»Vielleicht sollte sie auch gefeuert werden. Das wäre besser für sie.«
»Das ist nicht nötig«, hatte er gesagt. »Dieses Varieté unternimmt seine letzte Reise. Es ist die letzte Saison. Jedenfalls hat Greger das gesagt.« Johnny hatte auf der Bettkante gesessen, die Füße auf dem Fußboden. Es war kühl gewesen, aber nicht kalt. »Es sind die neuen Zeiten, hat er gesagt. Die Leute pfeifen auf die Kunst, sie sitzen zu Hause und gucken sich ihr eigenes Spiegelbild im Fernseher an.«
»Jetzt ist die alte Zeit vorbei, jetzt ist sie bald zu Ende.«
»Der Song ist auch schon uralt«, hatte er gesagt.
»Den spielen sie jeden Abend bei Lisas .«
»Spielen sie noch was anderes?« Er hatte sich umgedreht und ihre Silhouette wahrgenommen, die Hüften, die Beine.
»Spielen sie zum Beispiel Treat Me Nice ?«
»Komm her«, hatte sie gesagt.
»Wollen wir gehen?«, sagte Lennart. »Johnny? Johnny? Wollen wir gehen?«
Er war wieder im Zelt. Der Geräuschpegel schien gestiegen zu sein, während er in seinen Gedanken versunken dagesessen hatte. Die Schlange an der Ausgabe war lang. Ein alter Mann am Nebentisch putzte sich die Nase. Johnny meinte irgendwo dumpf eine Basstrommel zu hören. Er stand auf. Draußen war es dunkler geworden. Wieder hörte er die Trommel, einen dumpfen Wirbel.
»Ein Gewitter«, sagte Lennart.
Schwarze Wolken waren von Osten herangezogen und bewegten sich über den Himmel. Er spürte eine Spannung in der Luft wie Elektrizität. Ein Netz von Schwalben glitt tief über den Marktständen dahin, deren Zeltplanen jetzt zum verdunkelten Himmel zu gehören schienen.
Lennart schaute zu den Wolken hinauf.
»Wer den ersten Regentropfen in die Augen kriegt, hat gewonnen«, sagte er.
Auch Johnny schaute hinauf.
In seinem Kopf drehte es sich, als er überall nur Himmel sah. Er schien so nah zu sein, dass er meinte, ihn mit der Nase berühren zu können.
»Regen!«, rief Lennart.
Die Hellseherin saß vor ihrem Wohnwagen. Einige alte Männer standen auf der anderen Seite der Budengasse und dachten über die Zukunft nach. Die Hellseherin tat so, als sähe sie sie nicht. Sie schaute in den
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