Der Junge aus dem Meer - Roman
Knie, und ein Schauer lief mir über den Rücken.
»Ja«, sagte ich leise. »Das wäre schrecklich.«
***
Aus offensichtlichen Gründen sagte ich CeeCee kein Wort über den Meeresbewohner-Strandspaziergang. Während wir in THE FISH TALE frittierte Garnelen zu Mittag aßen, ließ ich sie über die Bedeutung von Feuchtigkeitscremes plappern und Vermutungen darüber anstellen, ob sich Virginia die Brust hatte vergrößern lassen oder nicht. Ich versuchte, ein paar Fragen über unsere Mütter einzuwerfen, für den Fall,dass CeeCee von Delilah irgendwelche Informationen über Moms Vergangenheit aufgeschnappt hatte. Doch als Antwort erntete ich nur unbekümmertes Achselzucken und ein fröhliches: »Ich kann mich nicht genau erinnern.«
In der vagen Hoffnung, dass CeeCee vielleicht doch irgendetwas behalten hatte, stimmte ich einem Besuch im Schönheitssalon zwecks ›Mani-Pedis‹ zu. Eine Pediküre stand für mich nicht zur Diskussion – der Gedanke, meine Zehen einer Begutachtung auszusetzen, war einfach zu peinlich –, doch erlag ich dem Charme meiner allerersten Maniküre, die sich erstaunlicherweise als ganz angenehm erwies.
Um sechs Minuten vor sechs betrachtete ich meine polierten und mit klarem Nagellack lackierten Fingernägel, während ich über die Strandpromenade zurück zum Meereskundezentrum eilte. CeeCee hätte gerne noch dem Laden für Badekleidung einen Besuch abgestattet, doch ich entschuldigte mich kurzerhand mit dem Hinweis, für das Abendessen nach Hause zu müssen.
Ich war überrascht, draußen vor dem Research Center keine wartende Gruppe vorzufinden. Ich hatte vermutet, dass sich die Strandspaziergänge großer Beliebtheit erfreuten. Außerdem verwandelte sich der Tag gerade in einen wunderschönen Abend, die drückende Hitze wich einer sanften Brise, und wattebauschähnliche Wolken –
Cumulus
, dachte ich automatisch – zogen über den mattblauen Himmel. Ein paar Leute rekelten sich noch am Strand und genossen die letzten Sonnenstrahlen. Doch als ich die Fliegengittertür erreichte, sah ich nur eine Person dort draußen stehen, den Blick auf das Wasser gerichtet.
Leo.
Auf der Stelle fühlte ich mich benebelt, fast so, als wäre ich seekrank.
Nimm dich zusammen,
befahl ich mir streng.
»Ich dachte schon, ich wäre zu spät«, sagte ich im beiläufigsten Tonfall und schlenderte auf ihn zu. »Wo sind denn die anderen?« Durch die Fenster schielte ich in das leere Foyer.
Leo drehte sich zu mir, und für einen Moment wirkte es, als ob sein Gesicht rot würde. Doch es musste wohl das rosige Glühen der Sonne gewesen sein. Ich sah, wie sein Adamsapfel auf- und abhüpfte, als er schluckte. Sein Namensschild hatte er abgenommen.
»Normalerweise finden diese spätnachmittäglichen Ausflüge nicht so viel Anklang«, erwiderte er und blickte auf seine Flip-Flops hinunter. »Die meisten Leute gehen zur Happy Hour ins
Crabby Hook
oder sie grillen mit ihren Familien.«
»Ah ja«, sagte ich mit einem Anflug von schlechtem Gewissen. Ob Mom wohl auch zu Hause mit dem Abendessen auf mich wartete? Doch da ich meine perfektionistische Mutter kannte, ging ich davon aus, dass sie wohl noch damit beschäftigt war, den Handwerkern Anweisungen zu erteilen. Außerdem würde ich ja ohnehin vor Einbruch der Dunkelheit wieder im Alten Seemann sein.
Leo blickte wieder zu mir auf, und mir wurde schlagartig klar, dass ich ihn wie in Trance anstarrte und gebannt auf das dunkelblonde Haar blickte, das ihm der Wind über die Stirn wehte.
»Oh, tut mir leid«, rief ich und fasste in meine Jeanstasche. »Was kostet der Strandspaziergang?« Wo hatte ich bloß meinen Kopf?
»Nein, nein«, gab Leo zurück, hob seine Hände und lachte. »Geht auf Kosten des Hauses.«
»In Ordnung … vielen Dank«, erwiderte ich zögernd.Irgendetwas – ein Verdacht – flackerte in mir auf, aber ich erstickte es im Keim. Das war doch völlig albern!
»Dann lass uns mal gehen«, sagte Leo, kickte seine Flip-Flops weg und hob sie dann mit einer Hand auf; die Muskeln in seinem Arm bewegten sich fließend wie Wasser. »Du solltest deine Turnschuhe ausziehen«, riet er mir. »Wir gehen genau da entlang, wo die Wellen auf den Strand spülen.«
»Oh, ach ich … das macht mir nichts aus«, stammelte ich. Ich verspürte nicht den geringsten Drang, Leo meine Zehen zu zeigen. Meistens achteten die Leute überhaupt nicht darauf, aber in meiner Vorstellung empfand ich diese Laune der Natur immer als viel schlimmer. Als Wade und ich im letzten
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