Der Junge aus dem Meer - Roman
sagte ich grinsend und geriet wieder in ruhigeres Fahrwasser. Leos Enthusiasmus,
seine
Leidenschaft für das Meer war ansteckend. Und unglaublich anziehend.
Mein Herz pochte.
»Wir nennen sie einfach nur Garnelen«, sagte Leo und zeichnete mit einem Zeh einen Kreis um das Loch. »Eigentlich sind sie mit Hummern verwandt. Erstaunlich, nicht? Es ist so wie … Wusstest du, dass Louisianamoos gar kein richtiges Moos ist?«
»Aber ja doch, natürlich ist es das«, protestierte ich und musste an die moosbehangenen Bäume auf der Insel denken.
»Es ist artverwandt mit Ananas«, erklärte Leo, wobei seine umwerfenden Augen noch größer wurden. »Ich schwöre. Du kannst es nachschlagen. Ist das nicht irre? Namen können so täuschen.«
Als ich Leo ansah, begriff ich, dass dieser seltsame Junge von dieser Insel mitten im Nirgendwo die Wissenschaft aus genau denselben Gründen liebte wie ich selbst.
Das
war irre. Es kam mir vor, als wären wir eng zusammenarbeitende Forscher auf diesem leeren Strand, der uns Raum für alle möglichen Entdeckungen bot.
»Was ist ein Name?«, sagte ich mit einem kleinen Lachen und stieß Leo – einem mutigen Impuls folgend – mit dem Ellbogen in die Rippen. »Siehst du? Ich kenne Shakespeare zumindest ein
bisschen
.«
»Fein.« Leo erwiderte meinen Stupser. »Ich mag
Romeo und Julia
. Verbotene Liebe. Tragisches Ende. Die richtig guten Sachen.«
»Da stimme ich zu«, sagte ich, während wir weitergingen. Ich wünschte, ich wäre nicht rot geworden, als er das Wort
Liebe
ausgesprochen hatte. »Ein Happy End kommt mir immer unwirklich vor.« Ich hielt meinen Kopf gesenkt. Nachdem Leo mir die Löcher der Schwimmgarnelen gezeigt hatte, konnte ich sie überall im Sand entdecken.
»Nun, das kommt darauf an«, erwiderte Leo und ging wieder in die Hocke, »was man unter einem Happy End versteht. Aha!« Er hob eine kleine rote Knolle auf, die an einem lilafarbenen Stengel befestigt war. »Für Sie, Ma’am. Eine Seefeder. Es ist zwar kein Dutzend Rosen, aber das Beste, was ich so kurzfristig beschaffen konnte.«
Was sollte
das
denn bedeuten? Mein Erröten vorhin war nichts im Vergleich zu der Hitze, die sich jetzt auf meinem Gesicht ausbreitete. Deutete Leo etwa an, dass wir hier ein Date hatten? Hatte ich eine Verabredung mit T. J. umgangen, nur um mich in einer anderen zu verwickeln? Und seit wann war ich ein Mädchen, das sich mit solchen Problemen herumschlagen musste?
Er macht Witze
, entschied ich, nahm die Seefeder entgegen und betrachtete ihre runde, hirnähnliche Knolle, die im Wind hin und her flatterte. »Vielen Dank, mein teurer Herr«, erwiderte ich und rollte mit den Augen.
»Gern geschehen«, sagte Leo und erhob sich. Er trat dicht an mich heran, dichter als im Research Center, wo er mir von Maurice erzählt hatte. Er war schön, stellte ich fest, und betrachtete seine Gesichtszüge: die gerade Linie seiner Nase, die vollen Lippen. Über seinem Kopf verwandelte sich der Himmel von blassgold in blassrot, und die sanfte Beschaffenheit der Luft gab mir fast das Gefühl, ebenfalls schön zu sein.
Irgendetwas überkam mich in diesem Moment – stärkerals mein Verstand oder meine Vernunft –, und ich merkte, wie ich meine Hand ausstreckte. Ich wollte Leos Wange berühren, ihre grobe Sanftheit spüren. Leo beugte seinen Kopf zu mir und ich hielt den Atem an.
Dann krachte eine riesige, aufschäumende Welle auf den Strand. Die Strömung war so kraftvoll, dass sie mich von den Füßen riss und rücklings stolpern ließ. Ich landete hart auf meinem Hintern im Sand. Meine Chucks hatte ich so gerade noch festhalten können, doch die Seefeder war mir aus den Händen geglitten.
»Oh, nein, ist alles in Ordnung?«, fragte Leo. Beschämt blickte ich auf und sah, dass seine Augen blitzten und sein Mund zuckte. Er hätte am liebsten
gelacht
.
»Das ist nicht lustig«, maulte ich und wischte mir kleine Steinchen von der Handfläche, während ich weiter nach hinten auf trockeneren Sand auswich. Der Hosenboden meiner Jeans war klatschnass. Ich war aufgewühlt und nervös, und fragte mich, was wohl zwischen uns passiert wäre, wenn die Natur nicht eingegriffen hätte. »Und außerdem hab ich die Seefeder verloren«, fügte ich bedauernd hinzu.
Leo setzte sich neben mich und legte seine Flip-Flops in den Sand. »Wir finden eine andere«, sagte er tröstend, doch mit einem Lachen in der Stimme. »Sei nicht wütend auf die Strömung«, fuhr er fort und sah mich an. »Lass dich einfach treiben.
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