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Der Junge aus dem Meer - Roman

Der Junge aus dem Meer - Roman

Titel: Der Junge aus dem Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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vorn, um die Schnürsenkel zusammenzubinden. »Ist das so schlimm?«
    »Natürlich nicht«, sagte er. »Ich wünschte, ich könnte auch öfter mal ein braver Junge sein. Darf ich dich denn wenigstens nach Hause begleiten?«
    »Wie überaus brav von dir«, gab ich unwirsch zurück, konnte aber meine Gereiztheit beim Blick in seine grünen Augen schon dahinschmelzen spüren. »Aber vielen Dank«, fügte ich, nun sanfter, hinzu. »Ich kenne den Weg.«
    Ich zögerte, wollte, dass er mich bat zu bleiben, wollte, dass er mich noch mal küsste, war im selben Moment jedoch auch überwältigt von meinen Gefühlen und wusste nicht, wie ich fortfahren sollte. War dies nicht der Moment, wo man die Telefonnummern oder E-Mail-Adressen austauschte?
    »Hör mal, ich … Wann …« Die Worte
wollen wir uns mal wieder treffen?
schienen wie ein Karamelbonbon in meinem Mund zu kleben.
    »Komm einfach her und such nach mir«, sagte Leo. Sein Gesichtsausdruck spiegelte wider, dass er kapiert hatte. »Wann immer du willst. Ich werde hier sein.«
    Ich war mir nicht sicher, wie das möglich sein sollte, wollte den Augenblick aber auch nicht durch eine Frage zerstören. Also hob ich meine Hand zu einem halben Winken, drehte mich um und eilte durch den schweren Sand davon, wobei mein Pferdeschwanz hin- und herbaumelte.
    Als ich die Strandpromenade erreicht hatte, blieb ich im Schein des hell erleuchteten und lärmenden
Crabby Hook
stehen und blickte über meine Schulter auf den dunklen Strand zurück.
    Ich konnte Leo nirgendwo entdecken. Nur der Ozean stürmte über den Küstenstreifen und hinterließ beim Abzug einen Streifen schaumiger Blasen. Als ich die Augen zusammenkniff, meinte ich allerdings, einen bleichen Schatten auf den weißgekrönten Wellen dahinsegeln zu sehen. Er bewegte sich zu schnell für einen Menschen. Vielleicht war es ein Delphin oder ein kleines Boot oder eine Kragenente. Vielleicht war es eine Schwimmgarnele. Ein Sanddollar.
    Oder vielleicht war es auch die Seefeder, die Leo mir gegeben hatte, davongetragen von der Strömung wie eine Erinnerung, von der ich wünschte, ich könnte sie an mich reißen und so lang wie möglich festhalten.

K APITEL 7
Fehler
    S urreal.
    Das war das einzig passende Wort, um zu beschreiben, wie es war, am helllichten Tag wieder am Siren Beach zu sein.
    Es war Sonntag, der erste Juli, zwei Tage nach meinem Strandspaziergang mit Leo. Ich lag auf einem Handtuch, ein paar Schritte von der Stelle entfernt, wo er und ich uns auf diese atemberaubende Weise geküsst hatten. Jedes Mal, wenn ich an diesen Kuss dachte – ungefähr alle fünf Sekunden –, spürte ich das Blut durch meinen ganzen Körper schießen. Neben mir lagen CeeCee, Jacqueline und Virginia ganz ruhig in ihren Bikinis und hatten ihre Gesichter in Anbetung der Sonne zugewandt. Hinter uns hatten es sich Mom, Delilah und Virginias Mutter, Felice, auf Liegestühlen bequem gemacht und quatschten miteinander. Es gab also niemanden, mit dem ich über meine rotierenden Gefühle hätte sprechen können.
    Nicht dass ich wirklich Lust auf eine Unterhaltung gehabt hätte. Mit meinem schwarzen Badeanzug, den Chucks und der übergroßen Sonnenbrille fühlte ich mich irgendwie verkleidet. Inkognito. Ich hatte mir die Kopfhörer meines iPods in die Ohren gestopft, die Musik jedoch nicht angestellt – ein alter Trick, der mir erlaubte, Unterhaltungen mit anzuhören und dabei selbst in Ruhe gelassen zu werden. Ich liebte es zu beobachten.
    »Die Handwerker waren eine Katastrophe«, hörte ich Mom stöhnen. Delilah schnalzte mit der Zunge. Ich riskierte einen Blick nach hinten. Moms weißer Kaftan und der passende Schal flatterten im Wind und ließen sie und Delilah fast identisch aussehen. »Sie haben überall Putz auf den Fußböden hinterlassen«, fuhr Mom fort. »Und aus den Wasserhähnen kommt braune Brühe.«
    Glücklicherweise war Mom so sehr mit der schlechten Arbeit der Handwerker beschäftigt gewesen, dass sie mich kaum beachtet hatte, als ich am Freitagabend spät, durchnässt und voller Sand in den Alten Seemann zurückgekommen war. Und während ich gestern in einer Mischung aus Unglauben und Glücksgefühl nutzlos durch das Haus gelaufen war, hatte Mom telefoniert – mit dem Immobilienmakler, mit Tante Coral und schließlich mit Delilah, die sie als Einzige hatte beruhigen können. Spätabends hatte Mom die Terrassentüren hinter sich geschlossen und auf der hinteren Veranda ein letztes, geflüstertes Telefongespräch geführt. Doch

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