Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Junge aus dem Meer - Roman

Der Junge aus dem Meer - Roman

Titel: Der Junge aus dem Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
Nicht auf dem Grund des Ozeans. Und ich lag auf der Erde, doch da war etwas Weiches und Trockenes gleich neben mir. Die karierte Tischdecke? Ich drehte den Kopf und versuchte hinzuschauen, doch mein Nacken schmerzte.
    »Langsam«, flüsterte Leo und rutschte näher an mich heran. »Beweg dich nicht.«
    Seine eigene Bewegung gab mir die Möglichkeit, einen Blick auf seinen Körper zu werfen. Mit Enttäuschung musste ich erkennen, dass nur seine braunen, muskulösen Beine aus der nassen Badehose herausragten. Natürlich. Außerhalb des Wassers hatte er keine Fischflosse mehr. Doch vorhin war sie da gewesen. Ich hatte sie gesehen. Ich hatte sie gefühlt.
    »Deine … deine …« Flosse wollte ich sagen, doch meine Stimme, quäkend wie bei einem Frosch, versagte ihren Dienst.
    »Nicht«, sagte Leo und strich mir meine feuchten Haare aus den Augen. »Du musst dich ausruhen.«
    »Was … was ist geschehen?« Meine Stimme krächzte. Ich hustete wieder, fühlte mich schwach und gebrechlich. Wie konnte es sein? Erst vor einem Augenblick war ich doch in Leos Armen glücklich unter den Wellen dahingeschwebt. Flüchtig blickte ich auf meine Arme und sah, dass Leo mich in seine rote Kapuzenjacke gewickelt hatte.
    Leo runzelte die Stirn. »Du hattest … einen Unfall. Kannst du dich erinnern? Du bist in eine Unterströmung geraten, und sie hat dich runtergezogen.«
    Eine Unterströmung. Das Wort kam mir vage bekannt vor, doch mein Verstand war zu benebelt, als dass ich mich entsinnen konnte.
    »Du bist in Panik geraten und hast eine Menge Wasser geschluckt«, fuhr Leo fort und wischte mir etwas von der Stirn, das sich wie Sand anfühlte. »Wenn ich nicht rechtzeitig zu dir hinausgeschwommen wäre … hättest du …« Sein Adamsapfel hüpfte auf und ab. Er konnte den Satz nicht beenden. Das musste er auch nicht.
    »Du hast mir das Leben gerettet«, flüsterte ich; meine Stimme war zurück. Ich hob meine zitternde, feuchte Hand,um Leos Lippen zu berühren, während ich mich fragte, ob ich mich dafür je revanchieren könnte.
    »Es war mir ein Vergnügen«, antwortete Leo. Sein Tonfall war leicht spielerisch, doch sein Ausdruck ernst.
    In einem plötzlichen Moment von Klarheit kam alles zurück – wie das Wasser versucht hatte, mich hinunterzuziehen, und wie hart ich gegen die Strömung angekämpft hatte.
    »Die Seeschlangen«, krächzte ich und versuchte mich aufzusetzen. Ich wollte, dass Leo begriff, wovon ich redete. »Die Seeschlangen mit den scharfen Zähnen. Sie … wollten mich herunterziehen.«
    Ich deutete auf meine nackten Beine, die mit Wassertropfen und Resten von Sand und Schlamm bespritzt waren. An meinen Waden, wo ich ohne Zweifel gebissen worden war, gab es lange Kratzer. Oh mein Gott. Wieso war ich überhaupt noch am Leben?
    Leo sah mich lange stirnrunzelnd an. Er schien nach den rechten Worten zu suchen.
    »Miranda, als ich dich rausgezogen habe, war Seetang um deine Beine geschlungen. Das war es wohl, was du gespürt hast. Stränge von Seetang«, sagte er schließlich mit sanfter Stimme.
    Seetang? Ja, ich hatte Seetang gesehen, als ich untergetaucht war, doch was ich gefühlt hatte, war viel wütender gewesen. »Aber … aber wo kommen denn diese Schnitte her?«, fragte ich und zeigte auf sie.
    »Felsen«, erwiderte Leo und fuhr mit der Hand sanft über einen der Kratzer. »Dort wo du warst, wird der Meeresboden ziemlich felsig. Als du hinuntergesunken bist, musst du dich geschnitten haben.«
    Ich blickte Leo an und versuchte, seine logische Erklärung zu verarbeiten. Hatte er recht? Ich war mir der Existenzder Seeschlangen in jenem Moment dort draußen völlig sicher gewesen. Genau so sicher wie Leos Verwandlung unter Wasser.
    Der Wind strich flüsternd durch die Grotte. Unsere Kerzen waren schon lange ausgegangen. Ich setzte mich auf. Das nasse Haar fiel mir über den Rücken. Nun saßen wir uns gegenüber, die Knie aneinandergepresst, unsere Gesichter nur Zentimeter voneinander entfernt. Ich musste zumindest den Versuch machen, ihn zu fragen.
    »Ich … als du hinausgeschwommen bist, um zu mir zu gelangen …«, setzte ich zögernd an. Jetzt, da ich wieder zur Besinnung kam, klopfte mein Herz schneller. »Unter Wasser … du sahst aus … Ich könnte schwören, ich hätte …« Ich biss mir auf die Lippe, versuchte Leos Reaktion in seinem Blick abzulesen.
    Für eine Sekunde – eine Millisekunde – war ein Ausdruck von Freude in Leos Augen, ein Ausdruck von Erleichterung und Aufregung. Doch er war so kurz, so

Weitere Kostenlose Bücher