Der Junge aus dem Meer
Treutlein, der sich neben die Kasse an die Wand gelehnt hatte.
„Lediglich Frau Bennelmann von nebenan hat ihrem Tulpenbeet Wasser gegeben — haargenau im selben Augenblick als ich vorbeikam.“ Polizeimeister Kalender lächelte vergnügt. „Sie ist ganz rot geworden. Aber ich hab’ nur höflich gegrüßt und bin weiter, als ob ich nichts gesehen hätte.“
„Ja, man muß manchmal auch großzügig sein können“, meinte Fritz Treutlein höflich und blinzelte dabei bedeutungsvoll zu seinem Vater hinüber. Dabei fragte er aber auch schon: „Darf es Kölnisch sein oder Lavendel?“ Er hatte dem Polizeimeister nämlich gerade den letzten Seifenschaum aus dem Gesicht rasiert.
„Lavendel“, entschied Herr Kalender. In diesem Augenblick kam Paul Nachtigall mit seinen Jungen durch die Tür. Nur Sputnik war draußen geblieben und paßte auf die Fahrräder auf.
„Guten Tag, Herr Treutlein“, grüßten die Jungens, und als sie den Polizeimeister bemerkten, fügten sie noch hinzu: „Guten Tag, Herr Kalender.“
„Ich muß kein Hellseher sein, um zu wissen, was mir die Ehre eures Besuches verschafft“, meinte der Friseurmeister.
„Es scheint um wichtige Dinge zu gehen“, stellte Polizeimeister Kalender fest. Er beguckte sich im Spiegel sein frisch rasiertes Gesicht, bezahlte an der Kasse und warf dann zu Fritz Treutlein hinüber ein Trinkgeld durch die Luft. „Ich hab’ ohnehin noch eine ganze Menge um die Ohren.“ Er verabschiedete sich noch, und dann spazierte er auf die Straße und in die Sonne hinaus.
„Sehr verehrter Herr Treutlein“, begann Paul Nachtigall, als die Tür wieder zugeklappt war. „Wie Sie wissen, fahren wir morgen auf die Insel Sylt, und wir wollten Sie bitten, daß Sie auch Fritz die Erlaubnis geben...“
„Du kannst dir deine Rede an den Hut stecken“, unterbrach ihn der Friseurmeister. „Natürlich darf er mit. Ich bin doch kein Spielverderber.“
Fritz Treutlein, der gerade das Sitzkissen umdrehte, auf dem kurz zuvor noch Polizeimeister Kalender gesessen hatte, machte erstaunte Augen.
„Aber vor einer halben Stunde hast du noch überlegt...“
„Ich wollte dich bloß ein bißchen zappeln lassen“, erklärte Vater Treutlein und blickte jetzt auch zu den anderen Jungen hin. „In eurem Alter bildet man sich nämlich ein, daß jeder Wunsch selbstverständlich und postwendend erfüllt wird. Das ist aber ein Irrtum, und es ist höchste Eisenbahn, daß ihr das begreifen lernt. Im Übrigen stelle ich eine Bedingung.“
„Und das wäre?“ fragten Paul Nachtigall und Emil Langhans beinahe gleichzeitig.
„Ihr müßt mir auf den Jungen aufpassen“, antwortete Vater Treutlein. „Er wird nämlich noch gebraucht, und eines Tages soll er dieses Geschäft übernehmen.“
Eine Viertelstunde später stürmte Karlchen Kubatz zu Hause ins Wohnzimmer und verkündete: „Wir sind komplett.“
Der Chefredakteur saß mit seiner Frau gerade beim Mittagessen und sagte zuerst einmal: „Wasch dir die Pfoten, bevor du dich zu uns an den Tisch setzt.“
Der Setter Nepomuk war aufgesprungen und trottete hinter Karlchen her zum Badezimmer. Inzwischen angelte Frau
Kubatz bereits nach einer Kohlroulade und rief dabei: „Fein, daß ihr jetzt alle zusammen seid.“
„Ja, das ist prima“, rief Karlchen zurück, und gleich darauf setzte er sich dann hinter seinen Teller.
„Gleich sieben von deiner Sorte“, meinte Herr Kubatz wie aus heiterem Himmel. Er hörte plötzlich auf zu kauen, obgleich er ein Stück von der Kohlroulade im Mund hatte, und bekam ein ganz nachdenkliches Gesicht.
„Ich fürchte, daß ich mir bis zu diesem Augenblick nicht genau genug vorgestellt habe, was das bedeutet.“ Er wischte sich mit der Serviette über den Mund und sprang auf. „Ich muß sofort Mutter anrufen“, stammelte er. „Die hat doch keine blasse Ahnung von dem, was da auf sie zukommt.“ Dabei wählte er nebenan in der Bibliothek auch schon die Telefonnummer von Rantum und hinterher die 325. Während er auf die Verbindung wartete, rief er noch zu seiner Frau ins Eßzimmer hinüber: „Wir haben diese ganze Einladung viel zu sehr auf die leichte Schulter genommen.“
„Hier Rantum 325“, meldete sich jetzt eine Stimme aus dem Telefonhörer.
„Hallo Mutter“, rief Herr Kubatz in den Apparat. „Wie ist das Wetter auf der Insel?“
„Sei nicht so neugierig, mein Junge“, erwiderte die Stimme aus dem Telefon. „Du wirst es ja morgen erleben.“
„Deshalb rufe ich ja an, wegen morgen,
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