Der Junge aus dem Meer
andere Sachen erlebt.“ Er riß die Tür auf und rief: „Bitte Platz machen, meine Herrschaften, das Lokal ist doch gar nicht überfüllt, es sieht nur so aus.“
In der Gegend von Flensburg bemerkte Fritz Treutlein: „Jetzt riecht es schon richtig nach Meer.“
„Stimmt“, behauptete Herr Kubatz.
„Das kannst du bei deinem Pfeifenrauch doch gar nicht feststellen“, sagte seine Frau lächelnd. „Aber es stimmt.“
Zwanzig Minuten später kamen sie über den Hindenburgdamm, der mitten durchs Meer ging und nur so breit war, daß er gerade für zwei nebeneinanderliegende Eisenbahngleise Platz hatte.
„Phänomenal“, äußerte sich Hans Pigge und blickte einmal nach links und dann wieder nach rechts. „Nichts als Wasser, so weit das Auge reicht“, fügte er hinzu.
„Das könnte aus einem Schulaufsatz sein“, bemerkte Karlchen Kubatz. „Allerdings aus keinem besonders guten.“
Inzwischen wurde der Damm wieder breiter, und dann waren sie plötzlich auf der Insel.
Sie entdeckten im Vorbeifahren die ersten strohgedeckten Häuser, die ersten Dünen und den ersten Leuchtturm.
Und schließlich Westerland. Wieder eine kleine Stadt mit Hotels, Hochbauten und einem Meer von Fernsehantennen auf den Dächern.
Kaum daß der Zug im Bahnhof zum Stehen gekommen war, knallten beinahe gleichzeitig die Türen auf, und es ging zu wie in einer Schule nach Unterrichtsschluß . Alle Reisenden hatten es plötzlich so eilig, als ob sie Stoppuhren in den Taschen hätten und ihren Ferienurlaub hinter sich bringen wollten wie ein Hundertmeterschwimmen.
Auf dem Bahnsteig warteten Männer in allen nur denkbaren Uniformen, mit Schirmmützen auf dem Kopf wie Generäle. Nur daß diese Mützen mit „Strandhotel Seeblick“ oder „Pension Kap Hoorn“ beschriftet waren. Sie nahmen ihren Gästen die Koffer ab, und wenn einer der Angekommenen unschlüssig herumstand, packten sie ganz einfach sein Gepäck und überzeugten ihn davon, daß er auf der ganzen Insel keine weicheren Betten finden könnte, kein schöneres Meeresrauschen und bestimmt keinen besseren Blick auf die Sonnenuntergänge als gerade in ihrer Pension oder in ihrem Hotel.
Während sich Herr Kubatz zu den Waggons mit den Autos verfügte, holten die Glorreichen Sieben ihre Fahrräder aus dem Gepäckwagen. Frau Kubatz bewachte inzwischen die Koffer.
Hinterher trafen sie sich alle wieder auf dem Platz vor dem Bahnhof. Sie brauchten sich gar nicht lange umzublicken, da sagte Herr Kubatz auch schon: „Das müßte er eigentlich sein.“
Da schlakste nämlich quer über den Platz herüber ein hochgewachsener Junge, dessen Haar von der Sonne fast ganz weiß gebleicht war und in dessen Gesicht die Sommersprossen blühten wie Gänseblümchen auf einer Wiese. Er hatte die Hände in den Taschen, trug einen zitronengelben Anorak und dazu genauso zitronengelbe Stiefel. „Nach meiner Beschreibung besteht wohl kein Zweifel“, grinste er. „Ich heiße Florian Jansen.“ Damit fing er an, rundherum die Hand zu geben: „Willkommen auf der Insel. Peter und Paul stehen da drüben.“ Es stellte sich ziemlich schnell heraus, daß Peter und Paul zwei kräftige Trakehner mit hellbraunen Mähnen waren. Sie warteten drüben neben einem Andenkenkiosk vor einem großen Plattenwagen, der Gummireifen hatte wie ein Auto. Im Augenblick rieben sie ihre weißen Nüstern aneinander.
Die Glorreichen Sieben schlugen vor, daß Florian nur ihre Koffer verladen sollte und daß sie auf ihren Fahrrädern hinter ihm herfahren würden.
Aber davon wollte der Junge in dem zitronengelben Anorak nichts wissen. „Damit würdet ihr Peter und Paul ganz schön beleidigen“, lachte er. Schon war er auf den Wagen gesprungen und ließ sich die Koffer und dann die Fahrräder hinaufreichen. „Wenn die Herrschaften jetzt Platz nehmen wollen“, lachte er schließlich, turnte über die Fahrräder auf den Bock und nahm Zügel und Peitsche. „Die zwei Kleineren können noch bei mir sitzen“, schlug er vor und blinzelte dabei mit seinen hellblauen Augen zu Karlchen Kubatz und Hans Pigge hinunter.
„Und wir gondeln inzwischen schon los“, rief der Chefredakteur der Bad Rittershuder Nachrichten, als er sah, wie die Jungen auf den Pferdewagen kletterten. Seine Frau war schon eingestiegen, so daß er nur noch Gas zu geben brauchte.
Durch die Stadt trotteten Peter und Paul noch im Schritt. Aber als sie dann auf die freie Straße kamen, fielen sie ganz von selbst in Trab.
„Jetzt fühlen sie sich erst richtig
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