Der Junge aus dem Meer
meine ich.“ Und dann fragte der Chefredakteur so harmlos als nur möglich: „Es hört sich so an, als wäre etwas mit deinem Atem nicht in Ordnung. Wie fühlst du dich?“
„Ich hab’ gerade im Garten Stabhochspringen probiert, das ist alles“, kicherte Großmutter Kubatz in ihr Telefon. „Wieso bist du auf einmal so um meine Gesundheit besorgt?“
„Weil dir unser Besuch vielleicht doch zuviel wird“, gab der Sohn zu. „Ich habe plötzlich einfach Angst, daß wir uns das nicht genau genug überlegt haben.“
„Ach was, diese sechs Jungen sind doch kein Problem!“
„Sieben“, warf Herr Kubatz ein. „Seit neuestem sind es sieben.“
„Um so besser“, lachte die Großmutter am anderen Ende der Leitung. „Sieben ist meine Glückszahl.“
„Und sie sind nicht von Pappe!“
„Habe ich auch nicht erwartet“, erwiderte Frau Kubatz aus Rantum. „Seit wann sollen junge Männer aus Pappe sein? Wäre ja ganz was Neues.“
„Es ist eine Ewigkeit her, daß Kinder um dich herum waren“, wagte ihr Sohn einzuwenden.
„Jetzt redest du mit mir aber wie mit einer alten Frau“, kam es ein wenig ärgerlich aus dem Telefonhörer: „Du vergißt immer wieder, daß ich noch keine siebzig bin.“
„Du wirst dein blaues Wunder erleben“, stöhnte Chefredakteur Kubatz.
„Auf ein blaues Wunder bin ich schon scharf, seitdem ich lebe“, meinte Großmutter Kubatz vergnügt. Aber dann sagte sie plötzlich mit einer Stimme, die keinen Widerspruch erlaubte: „Also, es bleibt dabei. Ich erwarte euch morgen auf der Insel. Florian kommt mit dem Pferdewagen nach Westerland zum Bahnhof und holt euch ab. Er hat eine blaue Mütze auf dem Kopf und ein Gesicht, voll mit Sommersprossen. Ihr könnt ihn gar nicht verfehlen.“
„Mutter, ich warne dich noch einmal!“ rief Herr Kubatz m den Telefonhörer. „Paß auf, noch ist es nicht zu spät. Ich könnte die Burschen noch in den Schwarzwald verfrachten oder an den Bodensee...“
„Du sollst dein Geld nicht so zum Fenster rausschmeißen“, lachte es von der Insel Sylt her durch den Telefonhörer. „Morgen können wir ja alles persönlich besprechen, und das kostet dann keine Postgebühren mehr. Herzliche Grüßen alle.“
Daraufhin knackte es in der Leitung.
„Prost Mahlzeit“, sagte Chefredakteur Kubatz besorgt, als er jetzt auch seinerseits den Hörer auf den Apparat zurücklegte.
Bei Flut klettert man ganz einfach auf den nächstbesten Leuchtturm
Der D-Zug nach Hamburg hatte in Bad Rittershude lediglich drei Minuten Aufenthalt. Das war im Grunde natürlich eine bodenlose Frechheit, denn so klein war die Stadt nun auch wieder nicht, und ihre drei Mineralquellen zogen immerhin Jahr für Jahr ein paar Tausend Kurgäste an.
Aber das schien sich bei den hohen Herren, die irgendwo hinter verschlossenen Türen die Fahrpläne ausknobelten, noch nicht herumgesprochen zu haben.
Jedenfalls blieb den versammelten Eltern nichts anderes übrig, als mit dem Abschiednehmen von ihren Kindern bereits anzufangen, bevor der Zug überhaupt zu sehen war. Später hätten sie dazu ja gar keine Zeit mehr gehabt. Die Mütter hatten also jetzt schon feuchte Augen, und die Väter zeigten besorgte Gesichter.
„Bei Wellengang gehst du am besten überhaupt nicht vor die Tür“, redete Frau Pigge von der Apotheke am Karlsplatz auf ihren Jungen ein. Dabei fuhr sie ihm mit der Hand durch den semmelblonden Pagenkopf. „Versprichst du mir das?“
„In vier Wochen bin ich ja wieder da“, wich der Junge aus.
„Hast du auch ganz bestimmt deinen dicken Pullover eingepackt?“ fragte gleichzeitig zwei Meter daneben Blumenhändler Kohl seinen Sohn. „An der See soll es selbst im Hochsommer abends verdammt kalt sein, und du erkältest dich so leicht.“
„Bring mir ein paar schöne Muscheln mit“, bat Corny Treutlein. Dann boxte sie ihrem Bruder den Ellbogen in die Seite. „Und schreib auch mal eine Ansichtskarte, Vater wartet darauf.“
Schokoladenfabrikant Hugendubel wollte seinen Jungen überreden, im letzten Augenblick doch noch vernünftig zu werden. „Hinterher wirst du dich in den Hintern beißen, weil du auf die Mittelmeerkreuzfahrt mit uns verzichtet hast.“
„Des Menschen Wille ist sein Himmelreich“, grinste der kleine Sputnik. „Und ihr seid bestimmt auch ganz froh, wenn ihr mich mal für ein paar Wochen los seid.“
„Wie kannst du so was denken“, seufzte Frau Hugendubel vorwurfsvoll.
Nur Karlchen Kubatz stand allein herum wie ein Regenschirm, den jemand
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