Der Junge aus dem Meer
Karlchen Kubatz fest.
„Ich verstehe kein Wort“, gab Hans Pigge zu und warf seinen semmelblonden Pagenkopf zurück.
„Keine Neuigkeit, die uns umschmeißt“, grinste Emil Langhans. „Andererseits ist mir im Augenblick auch ziemlich schleierhaft, was...“ „Entschuldige, wenn ich dich unterbreche“, warf Karlchen Kubatz höflich ein. Daraufhin machte er eine kleine Pause und kniff die Augen zusammen. „Weit und breit keine Fußspuren von ihm —“ Er blickte sich um: „Hält es jemand von den Herrschaften für möglich, daß der Bursche ganz einfach vom Himmel gefallen ist?“
„Karlchen hat mal wieder recht“, gab Paul Nachtigall neidlos zu. „Irgendwas stimmt da nicht.“
„Ich fange an zu begreifen“, rief jetzt Emil Langhans. „Jetzt müssen wir nur noch den Fallschirm suchen.“
„Quatsch mit Soße“, bemerkte Karlchen Kubatz trocken. „Es gibt nur mal wieder die zwei berühmten Möglichkeiten.“
„Wir sind ganz Ohr“, versicherte Hans Pigge.
„Entweder ist dieser Knabe da drüben bei Flut über den Strand gestiefelt“, erklärte Karlchen Kubatz. „Und hat sich dann auch bei Flut zum Ausschlafen mitten ins Wasser gelegt.“
„Ziemlich unwahrscheinlich“, warf Paul Nachtigall ein. „Aber kombiniere mal weiter.“
„Die Ebbe kommt“, fuhr Karlchen Kubatz fort. „Das Meer geht wieder zurück, spült die Fußspuren mit sich fort und läßt den Knaben am Strand zurück.“
„Unwahrscheinlich, wie gesagt“, wiederholte Paul Nachtigall. „Und Möglichkeit Nummer zwei —?“
„Die einzige, die in Frage kommt“, antwortete Karlchen Kubatz. Er war plötzlich ganz aufgeregt, und dann rannte er auch schon los. Die anderen liefen hinter ihm her.
„Der ist überhaupt nicht von dieser Insel“, keuchte Karlchen Kubatz. „Bestimmt hat ihn die Flut heute nacht vom Meer herein an den Strand geschwemmt.“
Kurz darauf beugten sie sich über den Jungen, der immer noch bewegungslos im Sand lag. Er hatte pechschwarze Haare, seine Augen waren geschlossen, und seine Arme lagen flach neben dem Körper. An der Seite hatte er zwischen Gürtel und Hose ein Messer, so wie es Pfadfinder tragen.
„He!“ rief Paul Nachtigall leise.
Und als sich der Junge nicht rührte, rief er etwas lauter. „Hallo!“
„Der macht wohl nur beim Zahnarzt den Mund auf“, witzelte Emil Langhans. Aber als ihm daraufhin Otto Hugendubel einen vernichtenden Blick zuwarf, bekam er ganz rote Ohren und entschuldigte sich: „Ist mir eben nur so rausgerutscht.“
„Er atmet überhaupt nicht“, flüsterte Karlchen Kubatz erschrocken.
„Und seine Hosen sind noch ganz naß “, bemerkte Hans Pigge verlegen.
Der fremde Junge wirkte immer noch genauso, als ob er schlafen würde. Seine Augen waren geschlossen und seine Lippen leicht geöffnet. Sein nackter Oberkörper war schlank und vom Meersalz wie mit einem ganz dünnen Film überzogen. Das einzige, was sich an ihm bewegte, waren seine schwarzen Haare, aber das kam vom Wind.
„Irgendwas muß passieren“, bemerkte Paul Nachtigall. „Wir können doch nicht hier wie Standbilder rumstehen und die Augen aufreißen.“
„Vielleicht sollte man seinen Puls fühlen“, schlug Manuel Kohl vor.
Das tat Paul Nachtigall dann auch.
„Und?“ fragte Hans Pigge gespannt.
„Nichts“, antwortete der Boß der Glorreichen Sieben nach einer Weile. Er kniete jetzt neben dem fremden Jungen im Sand und hielt für ein paar Sekunden sein Ohr ganz dicht an den halb geöffneten Mund. „Auch nichts“, wiederholte er kurz darauf. „Totale Funkstille.“
Schließlich klopfte er sich den Sand von den Fingern und öffnete ganz vorsichtig ein Auge. Es war genauso schwarz wie das Haar des fremden Jungen, aber es blickte nur leer und ausdruckslos. Sobald Paul Nachtigall seine Hand wieder wegnahm, fiel das Lid zurück wie ein Vorhang, den man fallen läßt.
„Was machen wir?“ fragte der Boß der Glorreichen Sieben und richtete sich wieder auf. Er war ziemlich ratlos. Dabei trug er schon seit einem guten halben Jahr das Abzeichen für Rettungsschwimmer und Erste Hilfe an seiner erbsengrünen Badehose.
„Er wird doch nicht...“ sagte der dickliche Otto Hugendubel in die Stille, und es hörte sich so an, als hätte er einen Frosch im Hals.
Aber da riß plötzlich Emil Langhans seinen rechten Arm in die Luft und streckte seinen Zeigefinger aus: „Da unter dem Kinn“, rief er, und seine Stimme überschlug sich. „Seine Halsschlagader bewegt sich!“
Im gleichen Augenblick
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