Der Junge aus dem Meer
Gedächtnis verloren haben soll...“
„Und höflich, wie Sie nun einmal sind“, meinte die Großmutter Kubatz, „haben Sie jedem, der es wissen wollte, selbstverständlich von Haus Seestern erzählt.“
„Daß der Junge an unserem Strand gefunden wurde, steht ja inzwischen in allen Zeitungen“, verteidigte sich der rothaarige Herr Küselwind. „Wenn die hier aufkreuzen, hätten sie es sowieso in Erfahrung gebracht.“
„Aha, sie wollen also hier aufkreuzen?“ fragte Großmutter Kubatz immer noch ganz treuherzig.
„Sie müssen sogar jeden Augenblick dasein . Einige waren bereits in Westerland“, erwiderte der junge Polizist. Dabei verdrehte er den Kopf und blickte durch das Fenster, weil genau in diesem Augenblick von draußen Motorengeräusch zu hören war. „Ich fürchte, da kommen sie schon“, bemerkte er, und dann fiel ihm noch etwas ein: „Ach ja, ein paar Rundfunkreporter sind auch schon unterwegs.“
„Dann muß ich Sie bitten, sofort Ihre Pflicht zu tun,
Wachtmeister Küselwind“, sagte die Großmutter jetzt in einem völlig anderen Ton. „Das Betreten eines umzäunten Grundstücks ist Hausfriedensbruch. Sorgen Sie dafür, daß wir hier in Ruhe gelassen werden. Schließlich haben Sie uns die Suppe eingebrockt.“
„Aber ich habe doch versucht zu erklären...“
„Ich habe Sie bis heute für einen sehr klugen und entschlossenen jungen Mann gehalten“, unterbrach ihn Großmutter Kubatz. „Hoffentlich muß ich meine Meinung in den nächsten Stunden nicht ändern.“
„Ich will sehen, was ich für Sie tun kann“, versicherte der Polizeiwachtmeister.
„Das muß ich auch zur Schonung meines jungen Patienten verlangen“, mischte sich jetzt Professor Schreiber in das Gespräch. „Versuchen Sie das den Herren zu erklären.“
„Ich will sehen, was ich tun kann, wie gesagt.“ Polizeiwachtmeister Küselwind zog sich wieder seine Uniformmütze über das rote Haar und verabschiedete sich. Dabei nahm er die rechte Hand an die Mütze und blickte zu dem Ohrensessel hinüber, als säße dort nicht die Großmutter, sondern Kriminalkommissar Michelsen aus Westerland.
Unterdessen hing Chefredakteur Kubatz bereits wieder am Telefon, um die ZENTRALE PRESSE-AGENTUR zu alarmieren. Aber Chefredakteur Splettstößer war überhaupt nicht überrascht und sagte nur: „Was haben Sie anders erwartet? Nachdem wir endlich melden mußten, war es doch sonnenklar, daß jetzt alle Welt auf eigene Faust lostigert. Für unsere Agentur ist damit die Kiste gelaufen. Aber was euch da droben nun blüht, da kann ich nur sagen: die Völkerwanderung war ein alter Hut dagegen. Jedenfalls Haisund Beinbruch, Herr Kollege.“
„Besten Dank“, erwiderte Herr Kubatz und wollte auflegen.
„Moment“, unterbrach ihn der Chefredakteur in Hamburg. „Der Junge ist natürlich immer noch ein heißes Ding. Und wenn Sie etwas wissen, was die anderen nicht erfahren, bitte ich sofort um Ihren Bericht. Vor allem ist man natürlich gespannt darauf, wie diese Geschichte am Ende ausgeht. Oder hat zum Beispiel dieser Professor Schreiber schon irgend etwas herausbekommen?“
„Bisher noch nicht“, meinte der Chefredakteur der Bad Rittershuder Nachrichten. „Aber für heute nachmittag hat er sich den Versuch mit einem Hypnotiseur vorgenommen. Der Mann soll ein Talent sein und gastiert zufällig auf der Insel.“
„Das wäre doch etwas!“ rief der Chefredakteur Splettstößer plötzlich wieder wie elektrisiert. „Allerdings nur, wenn es die anderen nicht auch mitbekommen. Also, am Ball bleiben, mein Lieber.“
Draußen waren inzwischen tatsächlich schon die ersten Reporter aus ihren Autos gestiegen. Sie waren ganz friedlich, ließen sich von Polizeiwachtmeister Küselwind noch zurückhalten und respektierten das geschlossene weiße Holztor. Aber als dann immer mehr Wagen und immer mehr Menschen von der Landstraße her kamen, wurde Herr Küselwind trotz seiner Uniform und trotz seiner Proteste glatt überrollt.
Daraufhin hatte das Haus Seestern in seinen Türen die Schlüssel umgedreht und die Fensterläden zugemacht. Es ähnelte jetzt einer Festung, die zur Verteidigung entschlossen ist und ihre Zugbrücke eingezogen hat.
Spätestens gegen Mittag glich die Mulde einem Heerlager. Die angereisten Journalisten, Rundfunkreporter und Kameraleute lagen zu Dutzenden im Gras, und das Fernsehen hatte mit seinem Gewirr von Kabeln überall Stolperfallen gelegt.
Vor kurzem war Kriminalkommissar Michelsen gemeinsam mit dem jungen
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