Der Junge aus dem Meer
Herrn Lüders im Streifenwagen eingetroffen. Seitdem spielte er die Rolle des Parlamentärs zwischen den beiden Parteien. Nur daß Herr Lüders keine weiße Fahne neben ihm hertrug.
Ein älterer Herr mit einer karierten Sportmütze und einem Mikrofon in der Hand war der Sprecher der Journalisten.
Die Vertretung für das Haus Seestern hatte Professor Schreiber übernommen. Die Glorreichen Sieben klebten an den Fensterläden im ersten Stock und beobachteten, wie durch Schießscharten, genau, was draußen vor sich ging. Dasselbe taten die Großmutter, Familie Kubatz und Fräulein Zobelmann im Erdgeschoß. Lediglich der sommersprossige Florian schlenderte zwischen den Fronten hin und her, fütterte zuerst einmal seine Pferde, dann den Pfau, die Hühner und schließlich die Stallhasen. Wenn er irgend etwas gefragt wurde, lächelte er nur; allmählich waren die Herrschaften aus der Stadt deshalb der Meinung, daß er vermutlich taubstumm sei.
Anfänglich hatte Kriminalkommissar Michelsen noch die Hoffnung gehabt, daß er die Journalisten vielleicht mit einer anderen Sensation ablenken könnte. „Es ist uns heute in den Morgenstunden gelungen, endlich den Feuerteufel zu fassen“, erklärte er nicht ohne Stolz. „Er hat auf unserer Insel insgesamt sieben Häuser angezündet, und es entbehrt nicht einer gewissen Komik, wenn ich Ihnen verrate, daß der Täter früher bei der Feuerwehr gewesen ist.“ Herr Michelsen machte eine Pause, da er schallendes Gelächter erwartet hatte. Weil die Herrschaften aber völlig ruhig blieben, fügte er nur noch sachlich hinzu: „Jetzt ist er zur Beobachtung in eine psychiatrische Klinik eingeliefert worden.“
„Zweifellos ein sehr schöner Erfolg für Sie“, meinte der ältere Herr mit der karierten Sportmütze. „Wir gratulieren Ihnen ja auch, aber wir sind gekommen, weil wir diesen Jungen sprechen und fotografieren müssen. Ich sage ausdrücklich müssen und nicht wollen. Wir leben nämlich in einer Demokratie, falls Sie das noch nicht bemerkt haben sollten, und der Bürger hat ein Recht auf Information durch uns.“
Die Journalisten, die im Gras herumlagen, nickten bedeutungsvoll, und einer von ihnen rief: „Was wir hier machen, ist ein Sitzstreik, und Sie werden uns erst wieder los, wenn dieser Knabe uns eine Viertelstunde zur Verfügung steht. Länger brauchen wir ihn ja gar nicht.“
„Ich werde noch einmal mit Professor Schreiber sprechen“, erklärte Kommissar Michelsen und ging zusammen mit seinem Assistenten Lüders zum Haus Seestern zurück. Er gab ein bestimmtes Klopfzeichen, und Karlchen Kubatz ließ die beiden Herren durch einen schmalen Spalt hereinschlüpfen.
Dieses Klopfzeichen war natürlich völliger Blödsinn, weil man ja immer genau beobachten konnte, wer jeweils auf das Haus zukam. Aber Karlchen hatte die Türwache nur unter dieser Bedingung übernommen. „Für eine Belagerung gehört sich das so“, hatte er behauptet.
Professor Schreiber hörte sich aufmerksam an, was der Kriminalkommissar zu berichten hatte. „Besten Dank, Herr Michelsen“, sagte er schließlich. „Einen Moment bitte.“ Daraufhin steckte er mit Professor Stoll, dem Chefredakteur, Alexander und der Großmutter die Köpfe zusammen. Man flüsterte eine Weile, und der Professor aus Hamburg schüttelte dabei ein paarmal seinen etwas zu großen Kopf mit dem Schildkrötengesicht. Schließlich blickte er nachdenklich durch seine dicken Brillengläser und meinte: „Ich fürchte, Erich, wir müssen uns ihnen zum Fraß vorwerfen.“ Dabei sprangen seine flinken Augen zu Professor Stoll hinüber.
„Dann auf in den Kampf, Jürgen“, antwortete Professor Stoll und griff nach seinem Strohhut.
Im selben Augenblick klingelte das Telefon, und Herr Kubatz nahm ab. „Hier Haus Seestern“, meldete er sich. Kurz darauf gab er den Hörer weiter an Professor Schreiber und sagte dabei: „Herr Landauer möchte Sie sprechen.“
„Ja, mein Lieber, wir erwarten Sie“, meinte der kleine und zierliche Professor aus Hamburg. Dabei blickte er auf seine Armbanduhr. „Sie wollten um zwei Uhr hier sein, wenn ich mich richtig erinnere.“
„Ich bin ja pünktlich gewesen“, erwiderte der Mann, der sich abends „Psycho“ nannte, am anderen Ende des Apparates. „Aber als ich in meiner Taxe von der Landstraße kam, konnte ich sehen, daß Sie völlig belagert sind. Da bin ich sofort wieder umgekehrt. Ich will nichts mit der Presse zu tun haben. Sie wissen ja, wie die Herren über Hypnose denken und wie
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