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Der Junge, der Anne Frank liebte

Der Junge, der Anne Frank liebte

Titel: Der Junge, der Anne Frank liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Feldmann
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Warschau, hätte ich es nicht so gut. Und über Deutschland möchte ich kein Wort verlieren. Ich weiß, Sie sind Amerikaner, Mr. Yankee Doodle Dandy, aber sind Sie ein Jude?«
     Ich gab ihm keine Antwort.
     »Es ist eine einfache Frage. Wie das Lied sagt, sind Sie's oder sind Sie's nicht?«
     Ich hatte es weder meiner Frau noch ihrer Schwester vor ihr gesagt, noch meinem Partner. Ich würde es nie meinen Kindern sagen. Ich hatte es ja auch ihretwegen getan. Warum sollte ich es also diesem seltsamen Greenie sagen, der an mir festklebte wie eine Fliege an Honigpapier?
     »Ich bin's.«
     Er nickte.
     »Aber nicht gläubig«, fügte ich hinzu.
     Er verzog die Lippen zu einem kindlichen Lächeln. »Nach dem Glauben habe ich nicht gefragt.« Er beugte sich näher zu mir. Wieder roch ich den Geruch nach Mottenkugeln und spürte den Geschmack der Kekse. »Sagen Sie, kommen Sie wieder? Wir brauchen Männer wie Sie.«
     »Männer wie mich?«
     »Für einen Minjan.«
     Einen Moment lang dachte ich, er habe Minion, Lakai, gesagt und wollte schon antworten, so sei ich nicht. Dann fiel mir das andere Wort, das ich vergessen hatte, wieder ein. Er wollte, daß ich komme, um den Minjan aufzufüllen, die zum Gebet vorgeschriebenen zehn Männer.
     Ich sagte ihm, ich würde wiederkommen, obwohl ich sicher war, daß ich es nicht tun würde.

    ZWEITES BUCH

    1955-1980

NEUN

    Ich werde nie die Zeit in Auschwitz vergessen, als der
              siebzehnjährige Peter van Pels und ich eine Gruppe selektierter Männer sahen. Unter diesen Männern war Peters Vater. Die Männer marschierten davon. Zwei Stunden später
    kam ein Lastwagen zurück, beladen mit ihrer Kleidung.
    Otto Frank, zitiert im Anne Frank Magazine, 1998

    Sie (die Familien Frank und van Pels und Herr Pfeffer) kamen
    in der Nacht vom 5. zum 6. September auf dem Bahnhof der
       kleinen polnischen Stadt (Auschwitz) an… Auf dem Bahnhof fand die Selektion statt… S49 Personen aus diesem Transport,
    darunter alle Kinder unter fünfzehn Jahren, wurden noch am
    gleichen Tag, dem 6. September, vergast.
    Unter ihnen befand sich Herr van Pels.
    Die Tagebücher der Anne Frank, Kritische Ausgabe

    Der Name des Arztes war Miller. Dr. Joseph Miller. Er sah so normal aus, wie sein Name klang. Mir war das recht. Ich wollte keine Gabors mehr, die die Erinnerungen der Alten Welt in sich vergraben hatten, die nach dem Elend der Alten Welt rochen. Ich war nicht hergekommen, weil irgend etwas nicht stimmte. Diesmal hatte ich einen Termin mit einem Doktor vereinbart, weil alles so gut ging. Meine Stimme funktionierte prima, und ich hatte den Vorfall schon fast vergessen. Das Tagebuch hatte mich erst umgehauen, nur weil ich angenommen hatte, es wäre in Rauch aufgegangen, so wie alles andere. Die Vorstellung, daß es inmitten des Todes lebte, war irgendwie obszön. Aber ich hatte es geschafft, alles in die richtige Perspektive zu bringen. Es war nur ein Buch. Sogar als ich in der Zeitung las, daß auf seiner Grundlage ein Theaterstück gemacht würde, regte ich mich nicht auf. Wenn Otto das wollte, wer war ich, mich zu widersetzen? Er tat mir leid, weil er immer noch in der Vergangenheit lebte, aber es ging mich nichts an.
     Ich hatte eine Frau, die ich liebte und die mich auch liebte, ich hatte zwei gesunde Töchter, und ein weiteres Kind war unterwegs. Vor drei Monaten hatte Madeleine mir eines Abends, als ich nach Hause kam, verkündet, daß das Kaninchen gestorben sei. Die Worte waren ein Code, aber ich verstand sie sofort. Jeder Ehemann in Indian Hills wußte, was das bedeutete, wahrscheinlich jeder Ehemann in Amerika. Ich fragte mich, ob es irgendeinem überhaupt auffiel, daß wir eine Sprache des Todes benutzten, um die Ankunft eines neuen Lebens anzukünden. Ich sprach das meiner Frau gegenüber nicht aus. Ich tat, was alle Ehemänner in der Seminole Road, in Indian Hills und überall in Amerika in diesem Fall getan hätten, das heißt alle außer Schürzenjägern und Saufbolden und Männern, die keine Familie hatten. Ich lief durch die Küche, nahm sie in die Arme, küßte sie und sagte, wie froh ich war. Ich durchlief alle üblichen Gefühle. Ich will damit nicht sagen, daß ich sie einfach abhakte. Meine Freude war echt. Aber ich neige nicht zu überschwenglichen Verhaltensweisen. Wenn ich ein Mordstheater veranstaltet hätte, wäre Madeleine in Sorge gewesen, daß irgend etwas nicht in Ordnung wäre.
     Sie hoffte auf einen Jungen, nicht nur, weil wir schon zwei

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