Der Junge, der Anne Frank liebte
Mädchen hatten, sondern weil sie sicher war, daß ich mir, wie jeder Mann, einen Sohn wünschte. Das stimmte nicht. So gern ich einen Sohn gehabt hätte, so sehr hoffte ich auf eine weitere Tochter. Ein Mädchen würde mich nicht in die Patsche bringen.
Die Geschäfte gingen ebenfalls gut. Harry hatte recht damit gehabt, daß jeder Joe und seine Frau ein funkelnagelneues Haus in einem Vorort wollten. Wir hatten Grundstücke für eine dritte Ausweitung des Projekts erworben. Die Staatliche Wohnungsbauvereinigung hatte uns einen Preis verliehen. Zuerst hatte ich gezögert, ihn anzunehmen. Ich hatte keine Lust, Aufmerksamkeit zu erregen.
Harry rollte die Augen zur Bürodecke, als ich das sagte. »Die Leute bezahlen gutes Geld dafür, um ihren Namen in die Zeitung zu kriegen, und mein Partner mag keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen.«
Er hatte recht. Diese Angst, irgendwie aufzufallen, war das letzte Überbleibsel meiner Greenie-Mentalität. Solange ich so dachte, konnte ich ohne weiteres ins Marseilles zurückkehren. Der Preis konnte uns nur nützen. Ich ließ mich sogar von ihm dazu überreden, die Dankesrede beim festlichen Essen zu halten, obwohl ich dachte, Harry hätte es tun müssen.
»Ich habe einen Akzent«, sagte ich.
»Ich auch. Das reine Brooklynerisch. Stell dich der Sache, Kumpel, du bist der Grund dafür, daß wir diesen beschissenen Preis kriegen. Wir haben ein schönes kleines Haus gebaut, aber das haben viele andere auch getan. Sie haben es sogar auch geschafft, größere Räume zum gleichen Preis zu bauen. Es gibt nur einen Unterschied zwischen uns und den anderen, und das bist du. Peter van Pels. Du bist der lebende Beweis dafür, daß Amerika noch immer das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist. Daß jeder in diesem Schmelztiegel nach ganz oben gespült werden kann. Natürlich schadet es auch nicht, wenn derjenige nicht gerade Mitglied eines bestimmten Volksstamms ist.« Er zwinkerte mir zu.
Ich hielt die Dankesrede beim Festessen. Danach kamen Männer zu mir, schüttelten mir die Hand und boten mir ihre Karten an. Ein Fotograf schoß Bilder. Unsere Lokalzeitung brachte einen Artikel mit Foto. Das Journal American druckte einen Bericht. Madeleine hatte ihn auf die Anrichte gelegt, als ich abends nach Hause kam.
»Schau dir das an«, sagte sie mit einer Kopfbewegung zu der Zeitung, dann wischte sie sich mit dem Handrücken eine Locke aus der Stirn. Als sie sich zum ersten Mal eine sogenannte Pudelfrisur zugelegt hatte, fand ich es schrecklich. Ich mag lange Haare bei Frauen. Diese Vorliebe ist verständlich. Aber inzwischen hatte ich mich an diese jugendliche Frisur gewöhnt. Sie war nach einem Hund benannt, aber Madeleine mit ihren mandelförmigen Augen und den ausgeprägten Wangenknochen verlieh sie etwas Katzenhaftes. Sie sah zugleich wachsam und zufrieden aus, obwohl das auch an ihrer Schwangerschaft liegen konnte.
»Was ist das?«
»Ein Artikel über meinen berühmten Ehemann.«
»In einer New Yorker Zeitung?« Das war mehr, als ich verdiente. Bestimmt würde irgend jemand ihn sehen, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, wer das sein sollte.
Ich nahm die Zeitung und überflog den Artikel, dann las ich ihn ein zweites Mal, diesmal langsamer. Es war ein harmloser Bericht über einen normalen amerikanischen Geschäftsmann. Nur ein Greenie würde sich vor so etwas fürchten.
Madeleine kaufte je drei Ausgaben der Journal American und der Lokalzeitung, schnitt die Artikel aus und rahmte sie ein. Eine Fassung gab sie ihrer Mutter, die andere ihrer Schwester. Ich war nicht da, als sie sie ihnen überreichte, aber ich kann mir ihr Lächeln vorstellen, glatt und selbstgefällig, als würden sie sich die Milch vom Schnurrbart lecken. Obwohl keiner von ihnen es zugeben würde, führte die Familie genau Buch. Norman hatte ein College besucht und Medizin studiert, aber ich hatte Goethe und Schiller »im Original« gelesen. Norman war ein Akademiker, aber ich verdiente mehr Geld. Die erste Person, die Madeleine anrief, als sie das mit dem Preis hörte, war ihr Vater. Mein Schwiegervater bewundert die Titel meines Schwagers, Norman Fine, M. D. F. A. C. P. aber er mochte das, was er mein Köpfchen nannte. Er empfand Ehrfurcht vor Normans Vertrautheit mit Leben und Tod, verachtete ihn aber auch, weil er keine Ahnung vom Elend hatte. Er liebte mich, wie er gelegentlich sagte, wie einen Sohn, obwohl ich ein Goj war. Habe ich eigentlich schon erwähnt, daß mein
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