Der Junge, der Anne Frank liebte
Arier verkleideten, ein dreijähriger Junge, der bei katholischen Nonnen versteckt war, Italiener, Franzosen, Griechen, Niederländer, die als einfache Ausländer durchgingen, minderwertiger als die Herrenrasse natürlich, aber keine Juden, zumindest so lange nicht, bis der Befehl kam, die Hose runterzulassen. Wenn sie meinem Sohn das zuschreien würden, was würde er sagen? Daß in Amerika nicht nur Juden beschnitten wurden? Daß sogar George Johnson, der genauso antisemitisch war wie sie, wenn auch ein bißchen diskreter, ebenfalls beschnitten war? Ich glaubte nicht, daß ihm diese Antwort viel nützen würde. Und ich war nicht bereit, dieses Risiko einzugehen.
Ich hatte mich entschieden. Ich würde David nicht beschneiden lassen. Madeleine hatte ursprünglich vorgeschlagen, wenn es ein Junge würde, ihn nach meinem Vater zu nennen. Dann erinnerte sie sich, mit wem sie es zu tun hatte. Juden benennen ihre Kinder nach toten Verwandten, Nichtjuden nach sich selbst.
»Es sei denn, natürlich, du willst ihn Peter nennen. Es würde meine Eltern verrückt machen.« Für meine Schwiegereltern wäre es, würde man ein Baby nach einem Lebenden nennen, geradezu eine Herausforderung an das Schicksal, diesen Lebenden auf der Stelle zu töten. Aber Madeleine war nicht abergläubisch, und inzwischen wußte ich, daß die Vorstellung, ihre Eltern würden durchdrehen, ihr nicht ganz unangenehm war.
Ich sagte, ich hätte überhaupt nicht das Verlangen, einen Sohn nach mir zu nennen. Kein Mann solle das Gewicht seines Vaters mit sich schleppen müssen. Und was meinen Vater betraf, wäre es grausam, einen Hermann oder auch einen Herman in ein Indian Hills zu schicken, das bevölkert war mit Marks und Scotts und Barrys. Wir entschieden uns für David. Mir gefiel der Klang. Und der Name war ökumenisch. Es gab natürlich einen David im Alten Testament, aber es gab auch einen Heiligen, der David hieß, den Patron von Wales. Im Alten Testament besiegte David den Goliath. Der Heilige David wurde normalerweise mit einer Taube auf der Schulter abgebildet. Der Name erfüllte alle Ansprüche.
Als ich ihn zum ersten Mal sah, war es durch eine Glasscheibe. Er schrie. Seine Arme fuchtelten durch die Luft der Säuglingsstation, die Beinchen bewegten sich unter der festgesteckten Decke, und der Mund war eine dunkle Höhle in seinem feuerroten Gesicht. Ich stand da und wartete darauf, daß die Schwester ihn herausnahm. Niemand schien ihn zu hören. Ich verstand es nicht. Ich befand mich auf der anderen Seite der Scheibe und hörte ihn schreien. Es war kaum zu glauben. Es war sadistisch. Ich ballte meine Hand zur Faust und klopfte mit den Knöcheln an die Scheibe.
Eine Schwester, deren blondierte Haare unordentlich unter ihrer Haube hervorschauten, blickte auf. Ein leichtes Klopfen an der Scheibe hatte ihre Aufmerksamkeit erregt, aber ein schreiendes Baby tat es nicht. Ich deutete auf meinen Sohn. Sie starrte mich an. Bitte, formte ich mit den Lippen. Wie mein Schwiegervater so gerne sagt, man fängt mehr Fliegen mit Honig als mit Essig. Sie schüttelte unwillig den Kopf, machte aber die paar Schritte zu den Bettchen und nahm David heraus. Sie brauchte ihm nur eine Minute leicht auf den Rücken zu klopfen, bis das Weinen aufhörte. Ich dankte ihr mit Handbewegungen und verneigte mich. Wieder schüttelte sie den Kopf, aber diesmal lächelte sie. Es würde ihr recht geschehen, wenn ich sie melden würde, aber das hatte ich nicht vor. Ich wollte mir diesen einmaligen Tag nicht mit geringfügigen Beschwerden verderben. Und zuallerletzt wollte ich meine Frau aufregen. Ich würde vor ihr auf die Knie fallen und mich für das Geschenk eines Sohnes bedanken, aber ich gehörte nicht zu den Männern, die so etwas taten. Ich hatte ihr etwas gekauft, um ihr zu zeigen, wie dankbar ich war. Eine Diamantnadel ist nicht zu verachten. Sie war teurer als das goldene Armband, das ich ihr geschenkt hatte, als Abigail geboren wurde, und die Perlen bei Betsy. Nicht weil Davids Geburt bedeutender gewesen wäre, sondern weil ich jetzt mehr verdiente.
Ich ging durch den Flur zu Madeleines Zimmer. Die kleine Schmuckschachtel in meiner Tasche rieb bei jedem Schritt an meinem Bein. Ich hoffte, daß ihr die Nadel gefiel. Jetzt tat es mir schon leid, daß ich nicht noch die Ohrringe gekauft hatte. Der Juwelier hatte gesagt, Diamantohrringe für eine Frau zu kaufen, die keine Ohrlöcher habe, wäre verrückt, aber verrückt war, wie ich mich jetzt fühlte. Ich
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