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Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Titel: Der Junge, der Ripley folgte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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inmitten von Hubschraubern, Maine-Hummern und einer amerikanischen Schwarzen namens Evangelina! Für Tom hatte das etwas Unwirkliches. »Wenn Sie gestatten, würde ich gern ein oder zwei Telefonate führen.«
    »Fühlen Sie sich wie zu Hause, Tom!«
    Vom Zimmer aus rief er das Hotel Chelsea in Manhattan an und fragte, ob sie für die Nacht noch ein Einzelzimmer hätten. Ein freundlicher Mann meinte, mit etwas Glück (dem Glück der Iren) könnte es klappen. Tom reichte das. Er würde nach dem Lunch abreisen. Um vier kämen Nachbarn, die Hunters, hatte Lily gesagt, die den Jungen sehr gern hätten und ihn sehen wollten. Tom nahm an, die Piersons würden ihn irgendwie nach Bangor bringen; von dort könnte er eine Maschine nach New York nehmen.
    Hummer aus Maine, genau das gab es zum Essen, als hätte er es geahnt. Vor dem Essen hatte Eugene den Jungen und ihn in einem Kombi nach Kennebunkport gefahren, wo sie die bestellten Hummer abholten. In dem Städtchen wurde Tom von einer Nostalgie überwältigt, die ihm fast die Tränen in die Augen trieb: die weißen Fassaden der Häuser und Läden, die frische Seeluft, der Sonnenschein und amerikanische Spatzen im noch dichten Grün der Bäume – all das brachte Tom auf den Gedanken, es sei vielleicht falsch gewesen, Amerika zu verlassen. Doch schlug er sich diese Zweifel sofort aus dem Kopf, denn sie bedrückten und verwirrten ihn nur, und erinnerten ihn daran, daß er Héloïse mit nach Amerika nehmen wollte, Ende Oktober oder wann immer sie sich von ihrer Abenteuerkreuzfahrt erholt haben würde – in die Antarktis, wie er noch wußte.
    Als er dem Jungen gesagt hatte, er werde am Nachmittag abreisen, hatte das Frank zwar sichtlich überrascht und enttäuscht, doch beim Mittagessen schien er guter Laune. War die nur vorgetäuscht, fragte sich Tom. Frank trug jetzt eine schöne hellblaue Leinenjacke, aber noch immer die Jeans dazu. »Diesen Wein haben wir auch zu Hause bei Tom getrunken«, sagte er zu seiner Mutter und hob feierlich das langstielige Glas. »Sancerre. Ich habe Eugene gebeten, nach ihm zu suchen – bin sogar mit in den Keller gegangen, die Flaschen zu holen.«
    »Er ist köstlich.« Lily lächelte Tom zu, als wäre es sein Wein, nicht ihrer.
    »Héloïse ist sehr hübsch, Mom.« Frank tunkte eine Gabel voll Hummerfleisch in seine flüssige Butter.
    »Findest du? Ich werd es ihr ausrichten«, sagte Tom.
    Frank legte eine Hand auf den Bauch und tat so, als rülpse er – eine stumme Vorstellung nur für Tom, zugleich eine halbe Verbeugung.
    Johnny konzentrierte sich auf das Essen und sagte wenig, nur daß ein Mädchen namens Christine gegen sieben kommen könnte – er wisse nicht, ob sie irgendwo essen gehen oder zum Dinner bleiben würden.
    »Mädchen, nichts als Mädchen«, höhnte Frank.
    »Halt die Klappe, du Idiot«, murmelte Johnny. »Wohl neidisch, wie?«
    »Hört auf, ihr beiden!« sagte Lily.
    Ein ganz normales Mittagessen en famille.
    Bis drei war Tom soweit: Er hatte einen Platz auf einem Frühabendflug von Bangor zum Kennedy-Flughafen gebucht; Eugene würde ihn nach Bangor fahren. Er packte den Koffer, klappte ihn aber noch nicht zu, ging in den Flur und klopfte an Franks angelehnte Tür. Keine Antwort. Tom stieß die Tür weiter auf und trat ein. Das Zimmer war leer und ordentlich aufgeräumt, das Bett gemacht, wahrscheinlich von Evangelina. Auf dem Schreibtisch des Jungen saß der Berliner Bär – dreißig Zentimeter hoch, braune, gelb umringte Knopfaugen und ein fröhliches Grinsen auf dem geschlossenen Mäulchen. Tom dachte daran, wie sich Frank über das handgeschriebene Schild amüsiert hatte: »3 WÜRFE 1 MARK « – Frank hatte das deutsche Wort »Würfe« komisch gefunden, weil es wie etwas klang, das man essen konnte, oder wie das Bellen eines Hundes. Wie hatte der kleine Bär es geschafft, eine Entführung, einen Mord und etliche Flüge zu überleben und immer noch genauso flauschig-fröhlich auszusehen wie zuvor? Tom hatte Frank fragen wollen, ob er ihn noch einmal zur Klippe begleiten würde; sein Gefühl sagte ihm, falls er den Jungen an die Klippe gewöhnen könnte (auch wenn »gewöhnen« nicht ganz das richtige Wort war), würde sich Frank vielleicht weniger schuldig fühlen.
    »Ich glaube, er ist mit Johnny weg, sein Fahrrad aufpumpen«, sagte Lily unten.
    »Dachte nur, er und ich könnten ein paar Schritte gehen, schließlich bleibt mir noch etwa eine Stunde«, sagte Tom.
    »Sie müßten jede Minute zurückkommen. Ich bin

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