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Der Junge, der sich in Luft auflöste

Der Junge, der sich in Luft auflöste

Titel: Der Junge, der sich in Luft auflöste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siobhan Dowd
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Hand. Es sank zurück ins Spülwasser. Sie zog ihre Gummihandschuhe aus.
    Â»Kat«, sagte sie, »kannst du das mal eben fertig machen?«
    Ihre Worte klangen ganz normal, aber ihr Gesicht wirkte wie sibirischer Permafrost.
    Kat übernahm wortlos das Geschirr. Mum ging durch ins Wohnzimmer und setzte sich, sehr bedächtig. »Ted«, rief sie. »Ich möchte mit dir reden.«
    Ich bekam Ärger, aber ich wusste nicht, warum. »Hmpf«, sagte ich, lief hinein und stellte mich vor sie hin.
    Â»Ted«, sagte sie. Ihre linke Hand strich über ihre Stirn. »Du und deine Theorien. Salim ist verschwunden, Ted. Das ist kein Spiel.«
    Â»Kein Spiel«, wiederholte ich.
    Â»Ich glaube, du begreifst nicht, wie ernst die Sache ist.«
    Â»Ernst«, bestätigte ich.
    Â»Plappere mir nicht dauernd alles nach!«
    Â»Hmpf.«
    Â»Und hör auf zu grunzen. Das habe ich dir schon mal gesagt, erinnerst du dich?«
    Â»Entschuldigung, Entschuldigung …«
    Â»Und vergiss nicht, mich richtig anzugucken, wenn ich mit dir rede!«
    Ich konzentrierte mich darauf, meine Augen zu bewegen, um nicht auf Mums Schulter, sondern in ihr Gesicht zu gucken. Ihre Augen wirkten klein, ihre Haut war weiß und sie hatte die Lippen nach unten gezogen.
    Â»Ted.« Sie beugte sich vor und berührte meine Hand. »Denk doch mal eine Sekunde lang nach. Was ist, wenn Tante Glo dich so gesehen hätte? Wie hätte sie sich dann gefühlt?«
    Meine Hand begann zu schlackern. »Aber Mum. Wir haben diese Theorien. Acht Stück. Und …«
    Â»Ted, nein!«
    Mein Kopf kippte zur Seite. Ich betrachtete die Wirbel im Teppichmuster. Meine Hand schlackerte heftiger. Normalerweise ist bei uns Mum diejenige, die mich versteht. Sie hat mich unzählige Male verteidigt. Wenn ich versuche meine Theorienüber Wettersysteme oder andere erstaunliche Phänomene des Universums zu erklären und Kat mir sagt, ich soll die Klappe halten, ist es Mum, die sie ermahnt, nicht so gemein zu sein. Aber seit Salims Verschwinden war es genau umgekehrt. Kat hörte mir zu. Mum nicht.
    Ich hörte Kat in der Küche, das Klappern von Tellern und Pfannen. Und dann tat ich etwas, was ich nie zuvor getan hatte. Ich gab Mum keine Antwort. Ich machte nicht mal hmpf. Ich ging zurück in die Küche, nahm mir ein Glas vom Abtropfgestell und schmiss es auf den Boden.
    Kat starrte mich mit großen Augen an.
    Â»O Gott, was denn noch alles?«, heulte Mum und kam hinter mir her durch die Küchentür. »Unser bestes Kristall!«
    Â»Entschuldige, Mum«, sagte Kat. »Es war meine Schuld, nicht Teds. Es ist mir durch die Finger gerutscht.«
    Aber Mum hatte alles gesehen. Wir blickten zu dritt auf das Glas am Boden und ich hmpfte und meine Hand schlackerte und ich ließ sie schlackern und Mum ermahnte mich nicht, damit aufzuhören. Sie blickte schweigend vor sich hin, während Kat Schaufel und Handfeger holte und die Scherben zusammenkehrte. Dann setzte Mum sich auf einen Stuhl an den Küchentisch, den Kopf in die Hände gestützt, und ich wusste, dass ich sie traurig gemacht hatte, und wollte zurück in mein Zimmer.
    Dad kam herein. Er trug Jeans und ein altes Hemd, was bedeutete, dass er meinte, es wäre Wochenende und er müsste nicht zur Arbeit gehen, obwohl eigentlich Dienstag war und eres musste. Er ging zum Spülbecken hinüber, schob Kat beiseite, nahm den Becher, den sie gerade gespült hatte, drehte den Kaltwasserhahn auf, füllte den Becher und leerte ihn auf einen Zug. Als er fertig war, füllte er ihn zum zweiten Mal und leerte ihn wieder auf einen Zug. Kat stieß mich an und schüttelte den Kopf. Auf dem Kühlschrank standen zwei Weinflaschen, eine halbleere Kognakflasche und eine zweidrittelvolle Whiskyflasche. Mir fiel wieder ein, irgendwo gelesen zu haben, dass Alkohol durstig macht, obwohl er flüssig ist. Wenn man mit ein paar Weinfässern und ohne Wasser auf ruhiger See ausgesetzt wird, gibt es zwei Dinge, die man nicht tun sollte: den Wein trinken oder das Meerwasser trinken.
    (Eigentlich gibt es noch etwas Drittes, was man nicht trinken sollte. Vielleicht kommt ihr ja drauf.)
    Â»Aha«, sagte Mum. »Da geht heut jemand nicht zur Arbeit.« Ich schaute mich im Zimmer um und fragte mich, wen sie wohl meinte.
    Dad kippte einen dritten Becher hinunter. »Da hat sich jemand bereits telefonisch krankgemeldet«, sagte er. »Mir

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