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Der Junge, der sich in Luft auflöste

Der Junge, der sich in Luft auflöste

Titel: Der Junge, der sich in Luft auflöste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siobhan Dowd
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geht’s echt beschissen, Fai. Wo ist Gloria?«
    Â»Schläft noch.«
    Â»Preiset den Herrn für jede noch so kleine Gnade.«
    Â»Dad …«, begann Kat. »Mum …« Sie ließ das Spülwasser ablaufen, nahm Dad den Becher aus der Hand, spülte ihn aus und stellte ihn verkehrt herum aufs Abtropfgestell. »Ted und ich …«, sagte sie. »Wir dachten … Wir würden heute gern was unternehmen.«
    Mums Lippen formten einen Schmollmund und sie rollte mit den Augen. »Nach dem, was gestern passiert ist – ganz zu schweigen von dem Glas, das Ted gerade zerbrochen hat! Kommt überhaupt nicht in Frage. Ihr habt Hausarrest. Alle beide.«
    Â»Aber …«
    Â»Kein Aber!«
    Dad räusperte sich. Er nahm Mum am Arm, führte sie ins Wohnzimmer und schloss die Tür hinter sich. Ich hörte, wie sie leise stritten. Kat beugte sich zu mir herüber und flüsterte: »Dad hält zu uns! Ich weiß es. Er wird Mum dazu bringen, uns weggehen zu lassen. Wart’s nur ab!«
    Kat hatte Recht. Eine Dreiviertelstunde später verließen sie und ich das Haus, zusammen mit Dad. Mum verabschiedete sich in der Diele von uns. Ihre Hände schossen hervor, als ich an ihr vorbeiging, und sie umarmte mich. Die Umarmung war nur ganz kurz, weil sie weiß, dass ich Umarmungen, egal welcher Art, nicht leiden kann. Ich sah ihr Gesicht ganz dicht vor mir und es war rot und gefleckt, was bedeutete, dass sie geweint hatte und immer noch unglücklich war. »Macht euch einen schönen Tag«, sagte sie. Dad nahm sein Handy mit, für den Fall, dass es Neuigkeiten geben würde.
    Während wir zur U-Bahn-Station gingen, erkundigte sich Dad: »Wo wollt ihr zwei denn hin?«
    Â»Ins Museum für Wissenschaft und Technik«, sagte ich.
    Kat trat mir ans Schienbein, was wirklich sehr unhöflich ist. »Eigentlich möchte ich zuerst ins Einkaufszentrum, Dad«, sagte sie.
    Â»Noch mehr CDs gibt es nicht, Kat.«
    Â»Oh, nein. Ich muss nur mal kurz zur Drogerie flitzen.« Sie streckte eine Hand aus und wedelte mit ihren Fingernägeln, die silbern lackiert waren. »Wegen Nagellackentferner.«
    Â»Ich kann’s gar nicht erwarten, dass das Zeug runterkommt«, sagte Dad. »Damit siehst du aus wie ein Außerirdischer aus einem B-Movie.«
    Während Kat in der Drogerie war, warteten Dad und ich draußen und er erklärte mir, was ein B-Movie ist und dass Filme wie Der Schrecken vom Amazonas oder Die Katzenfrau vom Mond, die Dad in seiner Sammlung hat, für ganz wenig Geld produziert wurden, mit billigen Requisiten und miesen Schauspielern, und dass diese Filme so schlecht waren, dass es schon wieder lustig ist und einen Kult nach sich zog. Ich fragte Dad, was »einen Kult nach sich ziehen« bedeutete, und er erklärte, dass es dann einen Fanclub für irgendetwas gebe, was nicht dem breiten Publikumsgeschmack entspreche, was bedeutet, dass es nur einer ganz bestimmten Anzahl von Leuten gefällt. Ich fragte Dad gerade, wie viele Fans man denn brauchte, damit etwas vom schmalen zum breiten Publikumsgeschmack wird, als Kat wiederauftauchte und eine Plastikflasche mit blauer Flüssigkeit durch die Luft schwang.
    Â»Hast du dein Abbeizmittel?«, fragte Dad.
    Â»Ja. Danke, Dad.«
    Â»Wohin als Nächstes?«
    Â»Ted hatte eine Idee, stimmt’s?«
    Â»Ja, Kat. Das Museum für Wissenschaft und Technik.«
    Â»Die doch nicht. Die Idee davor!« Ihr kleiner Finger begann zu kreisen. Sie blinzelte. Ihr Verhalten – angefangen bei den achtzehn Bildern, die sie vom Gartenschuppen geschossen hatte, dann, wie ich unter ihren Morgenmantel kriechen musste, und schließlich, wie sie davongerannt war, um Nagellackentferner zu kaufen – brachte mich dazu, dass mir der Kopf schwirrte.
    Â»Erinnerst du dich, Ted?«
    Â»Hmpf. Ja. Das Riesenrad.«
    Dad hielt mitten im Schritt inne, verschränkte die Arme und schaute erst mich an und dann Kat. »Ihr zwei verfolgt eine Spur, hm?«
    Kat hob die Hände und zuckte mit den Schultern. Dann packte sie Dad am Arm. »Dad, es schadet doch nichts. Man weiß ja nie. Wenn wir zur selben Zeit wie gestern wieder dort sind, taucht er vielleicht dort auf. Vielleicht findet er den Weg zu uns nach Hause nicht – aber jeder ist dazu in der Lage, das Riesenrad wiederzufinden, ganz egal, wo er abgeblieben ist. Wir … wir wollten uns nur

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