Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Junge, der sich in Luft auflöste

Der Junge, der sich in Luft auflöste

Titel: Der Junge, der sich in Luft auflöste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siobhan Dowd
Vom Netzwerk:
unregelmäßig geformten Eisklumpen und kommt immer aus Cumulonimbuswolken, daher wusste ich, dass ich mich nun genau unter jener Wolke befand, deren Entstehen ich zuvor beobachtet hatte. Dem Klang nach zu urteilen, betrug der Durchmesser der Klumpen vielleicht zehn bis fünfzehn Millimeter. Ich passierte die Fahrkartenschranke und stand in der Schalterhalle. Zwinkernd betrachtete ich die Schilder der verschiedenen Ausgänge.
    Ein Bahnhofswärter näherte sich. »He«, sagte er. »Du, Junge. Hast du dich verlaufen?«
    Ich überlegte, ob ich mit ihm sprechen sollte. Bekanntlich soll man sich mit Fremden ja nicht unterhalten. Am Riesenradhatten wir uns mit einem fremden Mann unterhalten, was möglicherweise der Grund dafür war, dass wir jetzt in solchen Schwierigkeiten steckten. Aber dieser Mann hier trug eine Uniform der Londoner U-Bahn, was bedeutete, dass es seine Aufgabe war, verirrten Fahrgästen zu helfen.
    Â»Ja«, sagte ich.
    Â»Wo willst du hin?«, fragte er.
    Â»Earl’s Court«, sagte ich.
    Â»Das hier ist Earl’s Court«, erklärte er. »Vielleicht suchst du die Ausstellungshalle?«
    Â»Die Ausstellungshalle«, nickte ich.
    Â»Geh diese Treppe hinauf. Immer geradeaus bis zum U-Bahn-Ausgang, und dann ist die Halle gleich gegenüber. Riesengroß. Du kannst sie nicht verfehlen«, sagte er. Er sagte kein einziges Mal »nach links« oder »nach rechts«; er zeigte einfach in die richtige Richtung.
    Vielleicht hatte er ja auch eine Orientierungsschwäche.
    Â»Vergiss nicht, dich vor dem Hagel in Acht zu nehmen!«, rief er mir nach.
    Vielleicht war er auch Meteorologe.
    Ich stieg die Treppenstufen hinauf und schwenkte dabei ein wenig nach rechts aus. Der Grund dafür war, dass ich mir vorstellte, ein Wurfgeschoss zu sein, das vom Äquator auf die Nordhalbkugel geschleudert wurde. Also entsprach der Grad meiner Kursabweichung der Ablenkung, die von der Coriolis-Kraft verursacht wird. Und das machte mich froh.

27
    Biker-Hölle
    Hinter prasselnden Hagelkörnern, die im Mittel einen Durchmesser von zwölf Millimetern hatten, auf der anderen Seite einer stark befahrenen Straße ragte ein großes Gebäude auf, an dem ein Spruchband klebte: MOTORRAD- UND MOTORROLLER-SHOW. Der Hagel ließ nach, die letzten Körner trommelten mir auf den Kopf und auf die Schultern, als ich hinüberging. Im Foyer standen die Leute dicht aneinandergepresst. Am Ticketschalter gab es einen »Personenzähler«, der die täglichen Besucherzahlen registrierte. Die aktuelle Zahl lautete 19997, und es wurden ständig mehr.
    Ich hatte noch nie solche Menschenmassen gesehen, die meisten von ihnen Männer in schwarzer Lederkleidung mit silbernen Nieten und schwarzglänzenden Kugeln – Helme – auf dem Kopf oder unterm Arm. Mir war, als wäre ich von der Erde in eine intergalaktische Raumstation gebeamt worden. Handelte es sich um Männer oder um Klone? Sie lachten, stritten und brüllten. Ich wusste nicht, was ich von ihnen halten sollte. Sie wirkten wie die harten Typen in unserer Schule, diein Banden umherziehen, und wenn man ihnen auf dem Flur entgegenkommt, macht man besser kehrt und rennt davon. Diese Männer hier kamen mir noch schlimmer vor. Aber sie spuckten mich nicht an, rammten mir ihre Ellbogen nicht in die Rippen und niemand nannte mich einen »Strinner«. Sie ignorierten mich einfach. Also stellte ich mich für eine Eintrittskarte in die Schlange.
    Dann sah ich ein Team von Sicherheitsleuten an der Absperrung. Sie durchsuchten das Handgepäck und tasteten Besucher mit tragbaren Metalldetektoren ab, wie es an Flughäfen und beim Londoner Riesenrad gemacht wird. Einige Leute mussten ihre Taschen und Hosentaschen ausleeren. Was mir aber ins Auge fiel, war die Aufschrift auf den T-Shirts des Sicherheitspersonals. Kat und ich hatten richtig kombiniert:
    SECURITY
    KOMMANDO
    Es war das gleiche T-Shirt, das der Fremde getragen hatte, nur dass ich diesmal die fehlenden Buchstaben sehen konnte. Ich musterte die Gesichter der Wachmänner am Eingang, aber der Fremde war nicht dabei. Ich kaufte eine Eintrittskarte und zeigte sie vor. Einer der Ordner fuchtelte mit einem Metalldetektor an meinem Körper entlang und bedeutete mir weiterzugehen.
    Als ich das Metalldrehkreuz passierte, sprang der Personenzähler klickend um und zeigte die neue aktuelle Besucherzahl an: 20054.
    Ich hielt inne. T ist der

Weitere Kostenlose Bücher