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Der Junge, der sich in Luft auflöste

Der Junge, der sich in Luft auflöste

Titel: Der Junge, der sich in Luft auflöste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siobhan Dowd
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Sie drängte sich an den anderen, die hinauswollten, vorbei und zog mich hinter sich her. Ich trat drei Leuten auf die Füße, aber es waren bullige Bikertypen, die dicke schwarze Stiefel trugen und es deswegen nicht merkten. Wir waren draußen unterfreiem Himmel, rannten an der Ampel über die Straße, und ich hatte gerade noch Zeit, das Wetter zu begutachten (hohe Stratuswolken, schönster Sonnenschein), ehe wir im U-Bahnhof verschwanden, vor der Fahrkartenschranke standen und weit hinten den fremden Mann entdeckten, der zum Bahnsteig lief, wo die Züge Richtung Osten abfuhren.
    Â»Das ist er«, piepste Kat. »Beeilung!«
    Ich zog meine Fahrkarte aus der Hosentasche, aber meine Hand schlackerte so heftig, dass mir die Karte runterfiel. Kat kreischte auf. Ich hob sie auf. Die Maschine riss sie mir aus der Hand und spuckte sie oben wieder aus.
    Â»Nimm sie, Ted, nimm sie!«
    Ich hatte vergessen, dass die Schranken sich nicht öffnen, ehe man seine Karte wiederhat. Ich nahm sie und ging durch.
    Â»Renn!«
    Ich rannte hinter ihr her, mit schiefem Kopf. Ich sah, wie sie sich in einen wartenden Zug warf, die Türen piepten und wollten sich schließen. Ich stieg ein und klemmte fest. Mir war, als würde ich aus drei Dimensionen in nur zwei hineingequetscht. Kat riss an den Türen und zerrte mich hinein.
    Â»Trottel!«
    Sie hatte sich in einen Tornado verwandelt, in eine Kraft, die nicht zu bändigen war. »Er ist im nächsten Wagen hinter uns, in der Nähe der Tür«, sagte sie. »Ich behalt ihn im Auge. Wenn er aussteigt, steigen wir auch aus.«
    Es war ein ratternder altmodischer U-Bahn-Zug, der kreischte und zuckte. In den schärferen Kurven klammerten wir unsan die Haltestangen. Sloane Square. Victoria. Blackfriars. Tower Hill. Aldgate East. Vorn auf dem Zug hatte ich UPMINSTER gelesen. Fuhren wir die ganze Strecke bis zur Endstation? Nach Stepney Green duckte Kat sich und kauerte am Boden, wie ein Tiger, der zum Sprung ansetzt. Sie zog mich zu sich runter. »Er steht auf«, zischte sie mir zu.
    Der Zug bremste ab, fuhr in den nächsten Bahnhof ein und hielt. Es folgte eine Pause. Sekunden vergingen. Alle warteten schweigend. Gegenüber von uns tappte ein Mann mit seinem Schuh auf den Boden. Dann sprangen die Türen mit einem zischenden Geräusch auf. Kat packte mich und stürmte aus dem Zug, wobei sie beinahe einen Herrn umrannte, der einsteigen wollte.
    Â»Entschuldigung!«, murmelte sie und zog mich am Ärmel meines Sweatshirts hinter sich her. Sie rannte ein Stück und ging hinter einem Süßigkeitenautomaten in Deckung.
    Der fremde Mann schritt beschwingt den Bahnsteig entlang und lief eine Treppe hinauf.
    Â»Jetzt!«, sagte Kat.
    Wir kamen hinter dem Automaten hervor. »Nicht rennen«, sagte Kat. »Du musst schlendern.«
    Â»Schlendern«, sagte ich. Ich bin kein guter Schlenderer, aber ich tat mein Bestes. Wir schlenderten über den Bahnsteig, die Treppe hinauf, durch die Fahrkartenschranke, zum Ausgang.
    Kat entdeckte ihn auf der anderen Straßenseite. Wir überquerten die Straße ebenfalls und schlenderten noch ein wenighinter ihm her. Er blickte sich kein einziges Mal um. Seine Hände steckten in den Jackentaschen und er hatte den Kopf gesenkt wie bei einer langen Gedankenkette. An einer Ecke blieb er an der Ampel vor einer Kneipe namens FALCON ARMS stehen. Wir blieben ebenfalls stehen. Kurz darauf betrat er die Kneipe.
    Es war ein großes, heruntergekommenes Gebäude mit großen Erkerfenstern ohne Vorhänge. Über dem Eingang hing ein schlaffes Transparent mit der Aufschrift DURCHGEHEND GEÖFFNET. Darüber schaukelte ein Schild, auf dem ein Falke auf einem Ast zu sehen war, mit einer Maus im Schnabel. An der Art, wie der Schwanz der Maus nach hinten wegflatterte, konnte man sehen, dass es auf dem Bild sehr windig war, vielleicht Windstärke sieben.
    Â»Und jetzt, Kat?«, fragte ich.
    Â»Wir warten«, sagte sie.
    Â»Warten.«
    Â»Solange es dauert.«
    Â»Du weißt doch, was Dad immer sagt.«
    Â»Was denn?«
    Â»Kneipen sind schwarze Löcher. Leute gehen dort hinein und kommen nie wieder raus.«
    Â»Das ist doch bloß ein Witz, Ted.«
    Wir standen fünf Minuten an der Straßenecke. Kat wurde unruhig. Der Verkehr strömte an uns vorbei. Kat meinte, sie käme sich vor wie eine bunte Kuh auf der Autobahn. Ich hatte noch nie eine bunte Kuh gesehen und

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