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Der Junge, der sich in Luft auflöste

Der Junge, der sich in Luft auflöste

Titel: Der Junge, der sich in Luft auflöste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siobhan Dowd
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bogen in unsere Straße ein, und Kat schwieg immer noch, aber inzwischen ließ sie mich neben sich herlaufen, und ihre Mundwinkel zeigten nach unten, was bedeutete, dass sie mehr traurig als wütend war.
    Vor unserem Haus blieb sie stehen und sagte: »Jetzt sind wir dran, Ted. Wir haben nicht mal nasse Haare.«
    Ich fasste mir verwirrt ans Haar. Dann fiel es mir wieder ein: Wir waren angeblich ja schwimmen gewesen.
    Â»Vielleicht können wir uns einfach reinschleichen«, flüsterteKat. Sie zückte ihren Schlüssel und wollte ihn gerade ins Schloss stecken, als die Tür aufflog.
    Vor uns stand Mum und versperrte uns den Weg. Ihre Frisur war zerzaust und ihre Augen wirkten so riesig wie Vulkankrater. Sie ließ unsere Badesachen vor unseren Augen durch die Luft baumeln: Kats Bikini, zwei Schwimmbrillen, meine Badehose. Sie prustete, ließ alles fallen, umarmte uns, versetzte Kat eine leichte Ohrfeige und kreischte: »Du ungezogenes, verlogenes, unverschämtes Fräulein … Und was dich angeht, Ted: Ich bin entsetzt. Ich weiß nicht, was in dich gefahren ist, diese Lüge mit dem Schwimmen aufzuschreiben. Ich bin umgekommen vor Sorge …«
    Kat hatte die Hände auf die Ohren gepresst und lief an ihr vorbei.
    Â»Du machst dich nicht einfach so aus dem Staub, ehe ich mit dir fertig bin!«
    Ich blieb stirnrunzelnd in der Tür stehen und überlegte, wo es wohl staubig war. Dann murmelte ich »Entschuldigung, Mum, Entschuldigung, Mum«, weil ich merkte, dass sie wütend war, aber sie hörte mich gar nicht. Ich hob die Sachen auf, die sie fallen gelassen hatte. Mum zerrte mich ins Haus und knallte die Tür zu.
    Â»Diese Mrs Hopper von gegenüber glotzt schon wieder rüber. Ich möchte nicht wissen, was die Nachbarn denken! Fernsehteams, Streifenwagen, es reicht mir einfach. Gloria dreht durch und ihr zwei verschwindet. Macht ihr euch irgendeine Vorstellung davon, wie mir zumute ist?«
    Kat lachte, versetzte der Scheuerleiste einen Tritt und schrie auf. »Die Nachbarn!«, kreischte sie und krümmte sich. »Typisches Erwachsenengeschwätz.« Ihre Stimme sprang eine Oktave höher und sie flötete: »Ich möchte nicht wissen, was die Nachbarn denken! Ist das alles, was dich beschäftigt, Mum? Was die Nachbarn denken? Wir haben versucht zu helfen. Versucht Salim zu finden. Aber das scheint dich ja nicht zu interessieren. Du willst doch gar nicht wissen, was wir denken. Alles, was dich beschäftigt, ist, was die Nachbarn denken. Dich schert’s doch gar nicht, ob er vielleicht tot ist.«
    Â»Das nimmst du zurück … Das nimmst du …«
    Mums Hand schoss nach oben, als wollte sie Kat mit aller Kraft ins Gesicht schlagen, aber dann erstarrte sie wenige Zentimeter vor dem Ziel. Ihre Stimme erstarb.
    Die Temperatur in der Diele schien abrupt auf minus dreißig Grad zu fallen.
    Kat starrte Mum mit großen Augen an. »Na los, schlag mich doch!«, zischte sie.
    Mum schüttelte den Kopf und ich sah, wie ihr Tränen von der Wange tropften. Ihre Hand sank nach unten.
    Ich trat vor. »Mum? Kat?«, sagte ich, aber sie beachteten mich nicht.
    Dann begannen Kats Lippen zu zittern. Sie schubste Mum beiseite und heulte: »Ich hasse dich, ich hasse dich!« Sie stolperte die Treppe hinauf. »Hasse dich, hasse dich!« Eine Zimmertür knallte zu. Dann war von oben ein Krachen zu hören.
    Ein Tornado hatte zugeschlagen, es herrschte T-Zeit in unserem Haus. Das ist mein Ausdruck dafür, wenn Leute sich richtig schlimm streiten und man das Gefühl hat, am schrecklichsten Ort der Welt zu sein.
    Mum sank auf die unterste Stufe der Treppe und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen. Ihre Schultern hoben und senkten sich und sie gab seltsame Laute von sich.
    So hatte ich sie noch nie zuvor erlebt.
    Â»O nein«, jammerte sie und schaukelte dabei vor und zurück. »Hört das denn niemals auf?« Ich war mir nicht sicher, mit wem sie redete, und blickte mich um. Ich war der Einzige, der da war. Was bedeutete, dass sie entweder mit mir oder mit Gott sprach. »O Gott, o Gott«, sagte sie.
    Also war es Gott, nicht ich. Und ich konnte gehen. Ich entschied mich, hinten im Garten nach dem Wetter zu sehen.

32
    Sonnenwind
    Ich lief schnell durch die Küche und durch die Hintertür in den Garten hinaus. Meine Hand schlackerte. Und hier die allgemeinen Aussichten, herausgegeben vom Wetteramt um

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