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Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Titel: Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Henrik Nielsen
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Weile, dann hören sie seine Schritte auf der Treppe nach unten. Er geht nach draußen. Es wird wieder still.
    »Ich will nicht hier unten sein«, weint Fride. »Ich will nicht!«
    »Ich auch nicht. Aber wenn es nicht sicher ist …«, sagt Nanna und nimmt Fride in den Arm.
    Dann kommen die Schritte wieder näher und sie starren ängstlich nach oben zur Luke. Papas Gesicht taucht auf.
    »Ihr könnt jetzt raufkommen«, sagt er leise und streckt die Hand nach unten, um Fride zu helfen.
    Fride schaut Nanna an, Tränen laufen ihre Wangen hinunter. Nanna bringt kein Wort heraus, aber sie hilft Fride nach oben.
    Fride greift nach Papas Hand und Nanna folgt ihr. Die trockene, warme Luft tut so gut. Oben im Wohnzimmer halten sie beide Papas Hände. Er sieht ängstlich und traurig aus,aber da ist auch noch etwas anderes. Er scheint sich fast ein bisschen zu freuen.
    Nanna lässt den Blick über Möbel und Bilder schweifen. Jetzt stehen sie alle drei hier oben in einem ganz gewöhnlichen Wohnzimmer und draußen ist Sommer. Sie kann die Tränen nicht länger zurückhalten.
    »Wir gehen in die Küche«, sagt Papa. »Dort ist es sicherer. Wir müssen ein paar Dinge besprechen.«

6
    Die Küche ist heruntergekommen, der blaue Lack blättert von den Schränken. Über allem liegt eine dünne Staubschicht. Papa nimmt einen trockenen Lappen, der über dem Wasserhahn hängt, und reibt das Fenster ab. Er schaut zum Meer, zum Steg, der an der Seite der Insel liegt, die zum Festland zeigt. Er sieht ängstlich aus. Sein dünner Körper zittert und sein Rücken ist krumm. Seine Haut ist weiß und fahl. Hier oben im Licht sieht er so anders aus.
    Auf dem Tisch steht eine orange, verstaubte Teetasse. Als Nanna sie sieht, steigen vage Erinnerungen in ihr auf. Papa, der das Boot über einen dunklen Fjord rudert, und sie, wie sie Fride den Mund zuhält. Sie mussten ganz leise sein. Papa sah sich die ganze Zeit um. Er hatte sich eine Tasse Tee gemacht, während er Frides Fläschchen aufwärmte. Die Nacht ging in einen dunklen, roten Sonnenaufgang über. Nanna sieht Papa vor sich, der am Fenster saß und über den Fjord blickte. Die unverständlichen Tränen, die Nanna nie zuvor gesehen hatte, und dann Papa, der mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern in den Bunker hinunterstieg und die Luke über ihnen sicherte.
    »Bist du sauer auf uns?«, fragt Nanna.
    »Nein«, sagt Papa und schüttelt den Kopf.
    »Nicht?«
    »Nein. Es war wohl einfach an der Zeit. Wir sind sehr lange unten im Bunker gewesen. Seit die Schale zerbrochen wurde, ist niemand mehr hier gewesen und das ist jetzt Jahre her. Aber ich hatte solche Angst. Solche Angst, dass euch etwas zustoßen könnte.«
    »War das mein Schnuller?«, fragt Fride.
    »Ja«, sagt Papa. »Ich habe ihn vergessen, als wir nach unten gegangen sind. Was habe ich das bereut.«
    »Habe ich viel geschrien?«, fragt Fride.
    »Nein. Nicht mehr als Nanna, als sie klein war«, sagt Papa und wuschelt ihr durch die Haare.
    »Hier haben wir gesessen. In der letzten Nacht. Nicht wahr, Papa?«, sagt Nanna leise.
    »Ja«, flüstert Papa und schaut wieder aus dem Fenster.
    »War ich dabei?«, fragt Fride mit fröhlicher Stimme.
    »Ja, du warst auch dabei, Fride. Du warst noch ein kleines Baby. Und hast deine Milch aus der Flasche bekommen«, sagt Papa und lächelt vorsichtig.
    »War Mama auch dabei?«, fragt Fride.
    »Nein. Das weißt du doch. Sie ist in der Stadt geblieben. Im Krankenhaus. Nanna, kannst du mal nachsehen, ob Wasser aus dem Hahn kommt? Du musst einfach an dem Metallarm daneben ziehen. Das ist die Pumpe«, sagt Papa, den Blick immer noch aus dem Fenster gerichtet.
    Nanna geht zum Wasserhahn und zieht an dem Metallarm, der sich mit einem lauten Knirschen löst. Es tut gut, hier oben zu sein, aber alles ist so seltsam. Alles, was ihr eigentlich vertraut ist, wie der Wasserhahn, wirkt so anders als früher. Als würde sie die Welt immer noch durch das Periskop sehen.
    Fride setzt sich an den Küchentisch und fängt an, im Staubzu malen. In dem Rohr tief unten im Boden klopft und gurgelt es. Dann klingt es, als würde der Wasserhahn niesen, und eine dicke, braune Flüssigkeit schießt heraus.
    »Ihh«, sagt Nanna und stoppt die Pumpe.
    »Lass es einfach weiterlaufen«, sagt Papa.
    Der Hahn hustet ein bisschen und die braune Flüssigkeit wird dünner und dünner, bis schließlich klares Wasser kommt.
    »Gib mir ein Glas aus dem Schrank«, sagt Papa.
    Er steht noch immer am Fenster und starrt nach

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