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Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Titel: Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Henrik Nielsen
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aber sie findet keine sauberen Teller. In der Spüle türmt sich das schmutzige Geschirr. Sie nimmt drei Teller und Tassen, die einigermaßen sauber aussehen, und spült sie unter kaltem Wasser ab. Als sie fertig ist, geht sie zu Papa ins Schlafzimmer. Es ist kleiner als das Zimmer, das sie sich mit Fride teilt, und auf dem Fußboden stapelt sich jede Menge Ausrüstung: Werkzeug, Maschinenteile, Bücherund Papier. Ganz hinten an der Wand steht der Schreibtisch mit der Schreibmaschine. Daneben liegen die großen Bücher mit den Abbildungen der Gemälde. Manchmal sitzen sie hier und Papa erzählt ihnen etwas über die Bilder. Dann fragt er sie, was sie sehen, und was die Bilder ihrer Meinung nach bedeuten.
    Papa schläft auf dem Bauch. Seine Atemzüge rasseln und er schnarcht. Nanna geht ans Bett und kitzelt ihn vorsichtig am Hals. Er schläft weiter, ohne sich zu rühren. Sie kitzelt noch einmal, aber nichts passiert. Seine Haut fühlt sich feucht und warm an.
    »Papa«, sagt sie. »Papa?«
    Er bewegt sich nicht.
    »Papa«, wiederholt sie und rüttelt vorsichtig seine Schulter.
    Da bewegt er sich, das Gurgeln hört auf und er stöhnt. Vorsichtig öffnet er die Augen, ohne dabei den Kopf zu bewegen.
    »Nanna, bist du das?«, sagt er langsam.
    »Ja. Und heute geht es auf Angeltour. Komm.«
    »Fünf Minuten«, sagt er. »Gib mir nur fünf Minuten. O.k.?«
    »O.k. Fünf Minuten«, sagt Nanna lächelnd.
    Es dauert lange, bis er in der Küche erscheint. Nanna und Fride sitzen schon fertig am Tisch.
    »Ich bin gestern noch aufgeblieben, um nach Lichtern Ausschau zu halten«, sagt Papa.
    »Hast du welche entdeckt?«, fragt Nanna.
    »Nein«, sagt er und es ist zu hören, dass er nicht weiß, ob er darüber traurig oder froh sein soll.
    »Dann gehen wir jetzt angeln«, sagt Fride.
    »Das machen wir«, sagt Papa. »Es wäre schön, wenn wir Fisch hätten.«
    »Denkst du, wir fangen welche?«
    »Ja. Euer Großvater kannte so viele gute Fischgründe. Er war ein unglaublich guter Angler, müsst ihr wissen. Er hat immer was gefangen. Beeilt euch und esst, ich drehe solange eine Runde.«
    »Willst du kein Frühstück?«, fragt Nanna.
    »Nein. Ich habe keinen Hunger«, sagt Papa und geht in den Periskopraum.
    Sie hören, wie er das Periskop ein paarmal dreht, bevor er zur Eisentreppe geht und die Luke öffnet. Das Geräusch, das Knirschen des Metalls, macht Nanna froh. Unglaublich, sie dürfen heute wieder nach oben!
    Sie essen und räumen auf und nach einer Weile steckt Papa den Kopf durch die Luke und ruft: »Ihr könnt jetzt kommen.«
    Sie klettern ins Wohnzimmer. Der Garten vor dem Haus badet in Sonnenlicht, sogar die Blätter auf dem Boden glänzen im Morgentau.
    »Oh, wie schön«, sagt Fride und hält sich schützend eine Hand an die Stirn.
    Nanna kneift die Augen zusammen, bis sie sich an das Licht gewöhnt hat.
    »Tja, Regen wäre besser gewesen. Regen ist nämlich gutes Angelwetter«, sagt Papa und geht raus auf die Terrasse.
    »Oh ja«, sagt Fride.
    Sie folgen ihm und Nanna genießt die milde, feuchte Morgenluft auf den Armen. Papa geht durch den Garten, an der Schaukel vorbei. Die Johannisbeersträucher am Rand des Grundstücks tragen kein einziges Blatt mehr und die Apfelbäume sind von einer zähen, braunen Flüssigkeit bedeckt, die aus den Bäumen selbst zu kommen scheint. Papa öffnet ein kleines weißes Tor und führt sie auf einem Pfad voller rutschiger Baumwurzeln in die Bucht. Der Weg schlängelt sich durch die Felsen und endet schließlich an einem hölzernen Steg, auf dem ein umgedrehtes, graues Plastikboot liegt. Trockene, grün-braune Streifen von Tang kleben am Kiel. Am Ende des Anlegers steht ein rotgestrichenes Bootshaus. Sie rennen an den Rand des Stegs und schauen in das klare Wasser. Sie können bis auf den weißen Muschelsand sehen. Das Wasser hat einen grünlichen Schimmer und hier ist der salzige Meeresgeruch noch intensiver. Sie legen sich auf den Bauch und starren weiter nach unten. Am Grund liegen Krebsschalen und Steine, auf denen kleine Tangreste sitzen. Sonst ist nichts zu sehen.
    »Wo sind denn alle Fische hin?«, fragt Fride.
    »Sie waren hier überall«, sagt Papa. »Als ich klein war, haben wir hier am Steg geangelt.«
    »Aber jetzt sind keine mehr da.«
    »Nein. Aber weiter draußen können wir angeln. Ich habe es im Gefühl. Großvater hat immer gesagt, dass er es fühlen konnte, ob er Fische fangen würde oder nicht.«
    Fride rennt runter an den Strand und Nanna hinterher. Papa untersucht

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