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Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Titel: Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Henrik Nielsen
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jemand im Haus gewesen war, nachdem sie eines Nachts Geräusche gehört hatten. Aber das ist schon lange her. Alles liegt unter einer Staubschicht und Spuren sind nirgends zu sehen. Durch die großen Fenster sieht sie den strahlend blauen Himmel, die flachen Inseln und den weißen Leuchtturm, der dort steht, wo der Fjord ins Meer mündet. Wellen rollen über die Schären. Das sieht schön aus und Nanna bleibt einen Moment stehen und beobachtet das Meer, bevor sie das Periskop zur Landseite dreht. Der Erdboden ist mit braunen, verrottenden Grasresten bedeckt, und die Bäume sind beinahe vollkommen kahl, abgesehen von ein paar vereinzelten braunen Blättern. Es ist so traurig. Früher waren sie wenigstens noch gelb, rot und braun, aber nun ist das ganze Laub abgefallen und die Nadeln der Fichten sind vertrocknet. Alles sieht krank aus, als läge die ganze Welt im Sterben.
    »Ich weiß sowieso nicht, ob ich noch rausgehen mag«, sagt Fride.
    »Warum nicht? Du sagst doch so oft, dass Rausgehen das Einzige ist, worauf du Lust hast.«
    »Da draußen ist gar nichts Freundliches. Es sieht immer so traurig aus. Nicht wie auf den Bildern.«
    »Aber es ist schön. Du ahnst gar nicht, wie schön. Wenn man die Sonne und den Wind spürt, das Meer. Und Regen. Und die Steine und den Sand unten in der Bucht. Du ahnst nicht, wie schön das alles ist.«
    »Kannst du dich daran erinnern?«
    »Ja, natürlich. Das weißt du doch. Ich war schon ziemlich groß, als wir hierherziehen mussten. Stell dir vor, wir könnten einfach einen kleinen Spaziergang machen. Irgendwann«, sagt Nanna.
    Wie es wohl wäre über das Gras zu laufen? In die Bucht hinunterzugehen? Vielleicht sogar zu baden? Das Meerwasser ist bestimmt anders als das Wasser hier drinnen. Es ist ja salzig und bestimmt herrlich. Nanna kann sich gut erinnern, wie sie einmal an den Strand gefahren sind, um zu baden. Zu dritt, bevor Fride auf der Welt war. Sie erinnert sich an den Sand und die Decke, auf der sie lagen, an die Eiscreme, die sie gegessen haben. Aber sie weiß nicht mehr, wie sich das Wasser anfühlte.
    »Aber was ist, wenn jemand kommt?«
    »Es kommt niemand. Es ist so lange her, dass jemand hier war.«
    »Bist du sicher?«
    »Ja.«
    »Wieso bist du sicher, dass niemand kommt? Sind die anderen tot?«
    »Ja. Papa sagt doch, dass viele gestorben sind.«
    »Sind alle tot?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Nanna legt sich auf das rote Sofa und fängt an, in einer alten Zeitschrift zu blättern. Fride hopst ein bisschen herum, dann setzt sie sich dazu.
    »Was liest du da?«, fragt sie. »Ist das das Heft über die geheime Insel?«
    »Nerv nicht«, antwortet Nanna und starrt in die Zeitschrift.
    »Lass mal sehen.«
    »Nein, hör auf zu nerven. Such dir eine andere Beschäftigung.«
    Fride setzt sich auf den Fußboden und fängt an, Spielkarten auf den Boden zu werfen.
    »Warum machst du das?«, fragt Nanna und wirft das Heft auf das Sofa.
    »Mir ist langweilig. Hier haben wir alles schon mal gemacht. Ich will raus«, sagt Fride.
    »Du hast doch gerade eben behauptet, du hättest gar keine Lust rauszugehen?«
    »Ja, aber jetzt habe ich doch Lust.«
    »Wir können nicht raus. Du weißt, was Papa gesagt hat.«
    »Ja, weiß ich. Aber es ist doch schon ganz lange niemand mehr gekommen. Ich kann mich nicht mal mehr daran erinnern. Du etwa?«, sagt Fride.
    »Nein, eigentlich nicht, höchstens ein bisschen.«
    »Warum können wir dann nicht raus? Wenn alle Menschen tot sind, dann ist es doch nicht mehr gefährlich.«
    Nanna spürt, wie das schmerzhafte, ungewisse Gefühl zurückkommt. So oft hat sie gedacht, dass sie bald rausdürfen. Nur noch bis zum Sommer durchhalten. Oder bis zum Winter vielleicht. Aber nie ist etwas passiert und Papa hat immer nur gesagt, dass sie irgendwann nach oben gehen werden. Es ist besser, nicht darüber nachzudenken.
    »Aber wir wissen ja gar nicht, ob alle tot sind. Deshalb können wir auch nicht raus. Weil wir es nicht wissen«, sagt sie.
    »Aber wenn wir es wüssten, könnten wir rausgehen« sagt Fride und wirft weiter Karten durchs Zimmer.
    »Ja, na klar.«
    »Ich wünsche mir das so sehr. Ich war immer nur hier drinnen. Bevor ich sechs werde, will ich raus. Wie alt warst du, als wir hergekommen sind?«, fragt Fride.
    »Ich war sieben.«
    »Das ist ungerecht. Du bist jetzt zwölf. Du warst längerdraußen als ich hier drinnen. Ich kann mich an nichts erinnern. Ich war ein Baby. Ich bin ja noch nicht mal mehr vorher in den Kindergarten gekommen. Ich will

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