Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Titel: Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Henrik Nielsen
Vom Netzwerk:
Langsam steigen sie die Treppe hoch. Immer wieder bleiben sie stehen, um zu lauschen, aber das Pfeifen des Windes und das Knarren der Dachbalken machen es unmöglich, etwas zu hören. Sie schleichen sich weiter.
    Fride geht voraus.
    »Ich freue mich schon, in …«
    Vogel macht zwei schnelle Schritte und legt ihr die Hand über den Mund. Er hebt die andere Hand und gibt Nanna ein Zeichen stehen zu bleiben. Er schiebt Fride hinter sich und zeigt auf die Tür. Zwischen Tür und Türrahmen ist ein Spalt, der nicht da sein sollte. Nanna ist ganz sicher, dass sie die Tür abgeschlossen hat, als sie gegangen sind, sie tastet nach dem Schlüssel in ihrer Tasche. Er ist noch da, genau wie der Ring.
    Das kann nicht sein. Jemand hat die Wohnung gefunden. Vogel schließt die Augen und bewegt die Arme langsam vom Körper weg. Er lauscht, denkt Nanna. Er kennt alle Geräusche der Stadt und jetzt lauscht er, wie er es schon so viele Male zuvor getan hat. Vorsichtig geht er auf die Wohnung zu. Er legt ein Ohr an die Tür und bleibt wieder stehen. Dann schiebt er sie vorsichtig auf und verschwindet ohne einen Laut in der Dunkelheit. Als wäre er nie da gewesen, als wäre er im Wind verschwunden und zu einem Teil des Hauses geworden.
    Fride und Nanna bleiben stumm zurück. Nanna schaut Fride an. Ihr Gesicht ist ausdruckslos. Sie steht da, mit offenen Augen und geschlossenem Mund, als würde sie auf etwas ganz Normales warten. Nanna wünschte, sie selbst hätte nicht solche Angst, aber sie kann nichts anderes tun, als hier mit Fride zu warten. Dann geht die Tür auf und Vogel flüstert: »Macht schnell.«
    Fride und Nanna folgen ihm in den dunklen Flur und schließen die Tür hinter sich. Sie können Vogel gerade noch sehen. Seine Augen sind groß und schwarz.
    »Es ist keiner hier«, sagt er leise.
    »Bist du sicher?«, fragt Fride.
    »Ja. Aber ich habe genau gesehen, wie Nanna abgeschlossen hat, als wir von hier aufgebrochen sind. Das hast du doch, nicht wahr?«
    »Ja. Ich bin mir ganz sicher.«
    »Könnt ihr sehen, ob etwas bewegt worden ist?«
    »Warte kurz, ich suche nur schnell unsere Taschenlampe«, sagt Nanna.
    Vogel nimmt ihre Hände und hält sie fest.
    »Wir dürfen jetzt kein Licht anmachen. Wir müssen unsichtbar sein, bis wir wissen, wer in die Stadt gekommen ist.«
    Er geht zum Fenster und schaut nach draußen. Er steht ganz still und schüttelt nur leicht den Kopf.
    »Das Klavier«, flüstert Fride. »Schau nach dem Klavier.«
    Die Tasten sind abgedeckt, der Klavierdeckel ist geschlossen.
    »Das Klavier stand offen. Oder?«, fragt Nanna.
    »Ich glaube schon«, sagt Fride.
    »Wie können sie die Wohnung gefunden haben?«, fragt Vogel ruhig.
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht haben die, die geblinkt haben, Papa gefunden und sind dann hierhergekommen«, sagt Nanna. »Etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen.«
    »Wir müssen weg«, sagt Vogel. »Wir müssen zu der Bunkeranlage im Hafen. Zu den Masten, die ganz oben stehen«, sagt er und geht aus dem Zimmer.
    Rasch schleichen sie sich aus dem Haus und holen die Räder. Der Wind hat weiter aufgefrischt und wirbelt Papier von den Straßen auf. Schwere, graue Wolken bedecken den Himmel.
    »Bleibt dicht bei mir«, sagt Vogel.
    Nanna heftet sich so nah an sein Hinterrad, dass sie es fast streift. Sie fahren nach rechts und nach links, durch Gassen und Unterführungen, bis sie schließlich im Hafen sind. Wellen schlagen gegen die Anleger und der Wind zerrt an ihren Kleidern. Vor ihnen liegt die Brücke, die zur Festungsanlage führt. Eine rote Schranke versperrt die Straße, die zwischen zwei flachen Felsen mit kleinen runden Bunkern verschwindet.
    Sie fahren an der Schranke vorbei auf die Insel. Am Straßenrand stehen flache Häuser und kleine Backsteingebäude mit Gittern vor den Fenstern. Der Weg schlängelt sich bergauf. Sie kommen an Garagen vorbei, die in den Felsen gebaut sind, und an einem Gebäude, das aussieht wie eine alte Turnhalle. Kurz vor einer Kurve ist der Eingang zu einem Bunker. Die rostigen Eisentüren liegen auf dem Boden. Vogel biegt von der Straße ab und fährt geradewegs in die Dunkelheit. Kies knirscht unter den Reifen. Nanna folgt ihm langsam und bleibt stehen, als sie gegen Vogels Fahrrad stößt.
    »Wir stellen die Räder hier ab«, flüstert er. »Die Lampen sind oben. Dieser Gang führt direkt dorthin. Seid so leise, wir ihr nur könnt.«
    Eine ganze Weile bleiben sie reglos in dem kalten, feuchten Bunker stehen. Sie hören nichts, als ihren

Weitere Kostenlose Bücher