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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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Klassenzimmern gelaufen kamen.
    Christmas antwortete nicht.
    »Wer war das?«, wiederholte Sal außer sich.
    »Ich bin wie du«, erklärte Christmas mit tränenverhangenen Augen. »Ich petze nicht.«
    Sal schüttelte den Kopf, bevor er sich auf den Rückweg zum Kellergeschoss machte.
    »Entweder du oder der Hosenscheißer, einer von euch beiden schafft es immer wieder, alles kaputt zu machen«, brummte Sal, während er Cettas Sachen in einen Koffer packte. Dann ließ er die beiden ins Auto steigen und fuhr sie zur Monroe Street Nummer 320. »Das ist euer neues Zuhause«, erklärte er schroff und deutete mit einem schmutzigen Finger auf ein Fenster im ersten Stock. Er schob Christmas über die Türschwelle und nahm Cetta den Koffer aus der Hand. »Na los, geh schon«, sagte er zu ihr. Vor der Wohnungstür zog er einen Schlüssel aus der Tasche und gab ihn Cetta. »Mach auf, worauf wartest du? Du bist jetzt hier zu Hause.«
    Cetta war sprachlos. Sie schloss die Tür auf und trat in die Küche. Zu ihrer Rechten befand sich ein Zimmer mit einem Doppelbett, zu ihrer Linken ein Wohnzimmer. »Das ist ja eine Wohnung ...«, brachte sie nur mühsam hervor.
    »Gut erkannt«, bemerkte Sal. »Jetzt macht kein Spektakel, ich muss ins Büro. Ich bin gleich nebenan ...«
    Cetta fiel ihm um den Hals und küsste ihn.
    Sal stieß sie von sich. »Doch nicht vor dem Hosenscheißer, verflucht noch mal, sonst machst du ihn mir noch zur Schwuchtel«, brummte er im Hinausgehen.
    Tags darauf kam Sal mit einem Messingschild vorbei, das er an die Wohnungstür schraubte. Cetta war bereits zur Arbeit gegangen. »Was macht die Wunde, Hosenscheißer?«, wollte er wissen.
    »Ich gehe nie wieder in die Schule.«
    »Klär das mit deiner Mutter«, entgegnete Sal kurz angebunden und zeigte auf das Messingschild. »Was steht da?«
    Christmas stellte sich auf die Zehenspitzen. » Signora Cetta Luminita «, las er vor.
    » Signora ... «, wiederholte Sal. »Hast du mich verstanden?«

29
    Dearborn – Detroit, 1923–1924
    Die Zimmer zur Miete waren eines wie das andere, ebenso die Bedingungen: Vorauszahlung, kein Frauenbesuch. Bill war bereits viermal umgezogen, seitdem er in Wayne County, Michigan, lebte. Es war ihm egal. Wenn er das Zimmer wechselte, so nur aus dem Grund, weil er ein anderes gefunden hatte, das näher bei der River-Rouge-Fabrik lag, der Fabrik, in der Ford seine Autos bauen ließ. Das T-Modell.
    Hier jedoch war alles ganz anders, als Bill es sich bei seiner Einstellung ausgemalt hatte. Die Fabrik war noch im Bau, eine riesengroße Anlage, Tausende Arbeiter. Jeder von ihnen war nur für die Fertigung eines einzigen unbedeutenden, namenlosen Bruchstücks verantwortlich, nicht für ein ganzes Auto. Bill setzte ein Teil des Fahrgestells zusammen. Drei Metallschellen musste er mittels ebenso vieler Schrauben festziehen. Das war sein Beitrag zum T-Modell, mehr nicht.
    An dem Tag, als er eingestellt wurde, hing am Eingang zu seiner Werkshalle ein Zeitungsausschnitt. Die Schlagzeile lautete: Mehr Tin Lizzie als Badewannen auf Amerikas Farmen . Der Reporter schrieb, das T-Modell habe den auf dem Land lebenden Amerikanern endlich die Möglichkeit gegeben, sich weiter als zwölf Meilen, der maximalen Distanz, die sie für gewöhnlich mit einem Pferd zurücklegten, von ihren Höfen fortzubewegen. Dank des T-Modells seien die Städte für sie in greifbare Nähe gerückt. Und im Zuge seiner Recherchen war dem Reporter aufgefallen, dass auf fast jedem Hof ein Ford stand, wohingegen es häufig an einer Badewanne mangelte. Als er die Frau eines Landwirts nach einer Erklärung fragte, gab diese zur Antwort: »Mit einer Badewanne kommt man eben nicht in die Stadt.«
    Belustigt hatte Bill aufgelacht. Da hatte ihm der Kontrolleur auf die Schulter getippt und den Finger an die Lippen gelegt. »Psst.« Bill hatte gelernt, dass die Fabrik von dem beherrscht wurde, was unter den Arbeitern als » Ford whisper « bekannt war, dem Raunen. Es war strengstens verboten, sich an die Maschinen zu lehnen, zu sitzen, zu reden, zu singen und sogar zu pfeifen oder zu lächeln. Daher hatten die Arbeiter miteinander zu kommunizieren gelernt, ohne dabei die Lippen zu bewegen, um der Überwachung durch die Kontrolleure auszuweichen: durch Raunen.
    Was der Reporter in seinem Artikel nicht erwähnt hatte, war die neue Gepflogenheit, die das T-Modell hervorgebracht hatte: Die jungen Männer holten ihre Mädchen zu Hause ab und unternahmen mit ihnen einen Ausflug. Und dann

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