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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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gefunden, der mit der Morgenpost den Isaacsons nachgeschickt werden sollte und an ein Hotel in Los Angeles adressiert war, an das Beverly Hills Hotel , 9641 Sunset Boulevard. Christmas schrieb Ruth einen Brief, erhielt jedoch keine Antwort. Also schrieb er ihr wieder und wieder. Und er fand sich nicht mit Ruths Schweigen ab, bis eines Tages sein letzter Brief mit dem einzigen Vermerk zurückkam: Empfänger unbekannt verzogen. Doch Christmas gab sich nicht geschlagen. Er ging zu AT&T und rief im Beverly Hills Hotel an. Man fragte nach seinem Namen und teilte ihm nach einer endlosen Wartezeit, die ihn zwei Dollar und neunzig Cent kostete, ausweichend mit, die Isaacsons hätten keine Adresse hinterlassen. Aber Christmas begriff, dass sein Name auf eine Liste unerwünschter Personen gesetzt worden war. Daher spannte er seine Mutter ein. Mit ihr zusammen ging er erneut zu AT&T, trug ihr auf, sich dem Concierge des Beverly Hills Hotels als Mrs. Berkowitz, eine Nachbarin aus der Park Lane, vorzustellen, bei der Mrs. Isaacson versehentlich einen Nerzmantel vergessen habe, und so kamen sie wie durch Zauberei an die Adresse einer Villa in Holmby Hills. Aber Ruth antwortete auch weiterhin nicht auf Christmas’ Briefe.
    »Halt vor dem Eingang an«, sagte der Mann mit dem Cockerspanielgesicht zum Fahrer.
    »Nicht hinter dem Haus?«, fragte der.
    »Redet Lepke etwa Chinesisch?«, wetterte der Blonde los, und versetzte dem Fahrer einen Schlag in den Nacken. »Als Fahrer bist du eine Katastrophe, und davon abgesehen gehst du einem auf den Geist. Wenn Lepke dir was sagt, machst du das, basta.«
    Der Fahrer zog den Kopf ein und warf Christmas im Rückspiegel einen flüchtigen Blick zu. Er mag um die zwanzig sein, dachte Christmas. So alt wie ich. Wie viele Autos, in denen Ratten saßen, mochte er schon gesteuert haben? Wie viele Tote hatte er wohl bereits zu Gesicht bekommen? Wie viele Schüsse gehört? Zu viele, dachte Christmas. Und nun gab es für ihn kein Zurück mehr. Er mochte um die zwanzig sein. So alt wie er selbst.
    »Was wollt ihr von mir?«, fragte Christmas abermals. Dabei nahm er in seiner Stimme einen neuen, zunehmend besorgten Unterton wahr.
    »Gurrah, dieser Wagen ist voll von Nervensägen«, bemerkte der Mann mit dem Cockerspanielgesicht ganz gelassen, während er das blutverschmierte Taschentuch aus dem Fenster warf.
    Der Blonde schlug zu. Ein blitzschneller, mechanischer Fausthieb traf Christmas auf den Mund. Dann klopfte der Schläger dem Fahrer auf die Schulter. »Fahr rechts ran«, befahl er ihm.
    Abrupt hielt der V-63 mitten auf der Straße. Der Blonde zog Christmas aus dem Wagen und stieß ihn zwischen einem braunen Pontiac und einer brandneuen LaSalle-Limousine hindurch in Richtung Bürgersteig. Christmas versuchte zu entwischen. Der Blonde aber hielt ihn fest und ließ sich nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Er trat ihm in die Kniekehlen, sodass Christmas stürzte und mit dem Gesicht auf den Boden schlug. Am Jackenkragen zog er ihn wieder hoch. Christmas sah, dass sie vor dem Lincoln Republican Club an der Ecke Allen und Forsythe angekommen waren. Da plötzlich ging ihm auf, wer der Mann mit dem Cockerspanielgesicht war. Und sein blonder Schläger. Und wen er, Christmas, treffen würde.
    Wenn ich erst einmal dort drin bin, schoss es ihm durch den Kopf, gibt es auch für mich kein Zurück mehr. Wie für den namenlosen Fahrer. Wie für Pep und Ruth. Da bekam er es mit der Angst zu tun.
    »Ich hab euch nichts getan«, sagte er.
    »Beweg dich, du Penner«, befahl der Blonde und drängte ihn zum Eingang des Lincoln .
    »Lepke Buchalter und Gurrah Shapiro«, murmelte Christmas, dem der Schrecken nun den Magen zusammenschnürte.
    »Halt die Klappe«, sagte der Blonde und stieß ihn mit Gewalt gegen die Tür des Lincoln .
    Im Club saß Greenie auf einem Stuhl, im Mundwinkel eine Zigarette. Greenie sah in seinem Zweihundert-Dollar-Anzug aus wie ein leuchtend bunter Papagei.
    »Greenie ...«, sagte Christmas, an Lippe und Stirn blutend, leise.
    Völlig emotionslos erwiderte der Gangster seinen Blick, nur seine Mundwinkel hoben sich kaum merklich, er stieß eine Rauchwolke aus und schüttelte den Kopf.
    »Beweg dich, Schwachkopf«, herrschte der Blonde Christmas an und trieb ihn mit einem erneuten Stoß in einen Saal, wo ein Mann mit dem Rücken zu ihnen allein Billard spielte.
    Hier also bist du jetzt gelandet, dachte Christmas. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Und plötzlich – während man ihn auf einen

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