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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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habe vor, in ein sehr interessantes Projekt einzusteigen«, sagte der Vater, bevor er innehielt, zu stottern begann und dem Blick der Tochter auswich. »Ich werde einen Film produzieren ...«, erklärte er schließlich kleinlaut.
    Ruths Mutter sah ihn an und brach in grausames Gelächter aus.
    »Lass das, Sarah ...«
    »Na los, sag’s ihr, du großer Produzent!« Und wieder lachte sie. »Sag’s deinem Mädchen. Sag ihr, was für einen Film du produzieren wirst.«
    »Sarah, halt den Mund!«
    Eine ganze Weile sah Mrs. Isaacson ihren Mann schweigend an. Dann wandte sie den Blick wieder aus dem Fenster. »Dein Vater steckt das bisschen Geld, das uns geblieben ist ...«, hob sie mit ausdrucksloser Stimme an.
    »Sarah!«, brüllte Philip Isaacson und trat mit Wucht auf die Bremse. Der Wagen geriet ins Schleudern und kam am Straßenrand zum Stehen.
    Ruths Mutter prallte mit der Stirn gegen die Windschutzscheibe. Ruth kippte nach vorn und schlug mit dem Gesicht an den Vordersitz, wobei ihr der Fotopacken aus der Hand fiel. Die Bilder verteilten sich über den Boden.
    »Das erlaube ich dir nicht«, sagte Mr. Isaacson und richtete den Finger bebend auf seine Frau.
    Die Frau betastete nah am Haaransatz ihre Stirn. Dann blickte sie auf ihren Finger. Er war blutverschmiert. »Gewöhn dich daran, Schatz«, sagte sie beherrscht zu ihrer Tochter, während sie ihr einen Blick im Rückspiegel zuwarf, den sie verstellt hatte, damit sie die kleine Wunde in ihrer gepflegten Haut untersuchen konnte. »Das ist die Atmosphäre, die dich erwartet. Dein Vater hat vergessen, wessen Sohn er ist, woher er stammt, wer wir sind.«
    Mr. Isaacson ließ den Kopf aufs Lenkrad sinken. »Ich bitte dich, Sarah ...« Seine Stimme klang jetzt weinerlich.
    Seine Frau würdigte ihn keines Blickes. Vornehm betupfte sie mit einem blütenweißen Taschentuch ihre Wunde. »Dein Vater macht einen Film nur für Männer, Ruth ...«
    »Sarah ...«
    Ruth bückte sich und begann, ihre Fotos aufzusammeln. Ich will nichts hören, sagte sie sich immer wieder, ich will nichts hören.
    »Einen Film mit Huren. Für Perverslinge ...«
    »Bitte, Sarah ...«
    »In Zukunft werden wir also mit Huren und Perverslingen verkehren ...«
    »Sarah ...«
    Ruth sammelte weiter ihre Fotos auf. Das Gesicht von Mrs. Bailey. Die Aufnahmen von Estelle Rochester und Charlene Summerset Villebone und Daisy Thalberg und der jungen Esther, die von Clarisse, Dianne, Cynthia. Sag nichts mehr, Mama, dachte sie. Sei still.
    Mrs. Isaacson öffnete ihre Tasche und zog ein schmales, glänzendes Metallfläschchen heraus.
    »Nicht vor ihren Augen, ich bitte dich, Sarah ...«
    Die Frau schraubte den Verschluss auf, benetzte ihr Taschentuch und tupfte ihre Wunde damit ab. Anschließend nahm sie einen großzügigen Schluck aus der kleinen Flasche.
    Da begriff Ruth, warum es in dem Wagen so anders roch als in allen, die sie zuvor besessen hatten.
    »Nicht vor ihren Augen ...«, flehte der Vater noch einmal.
    Mrs. Isaacson schraubte den Flachmann zu und ließ ihn wieder in ihrer Tasche verschwinden. »Und auch diese unselige Unternehmung wird er in den Sand setzen«, bemerkte sie mit einem höhnischen Grinsen. Sie zog sich die Lippen nach und kämmte sich das Haar. »Fahr uns nach Hause, du Versager«, sagte sie.
    Einen Moment lang rührte sich Mr. Isaacson nicht. Dann legte er den Gang ein und trat folgsam aufs Gaspedal, den Blick verloren geradeaus auf die Straße gerichtet.
    Ruth sammelte die letzten Fotos auf und presste sie an sich.
    »Du hast Talent«, hatte Clarence Bailey lobend zu ihr gesagt, nachdem er an jenem Sonntag aufmerksam ihre Aufnahmen betrachtet hatte. »Ich weiß, wovon ich spreche. Du hast Talent. Du siehst den Menschen in die Seele.« Daraufhin hatte er ein Foto seiner Frau zur Hand genommen, und seine kleinen, gescheiten Augen waren feucht geworden. »Darf ich das behalten?«, fragte er. »Das ist sie, wie sie einmal war ...« Und bevor er ging, notierte Clarence Bailey auf der Rückseite eines der Fotos seiner Frau eine Adresse: »Ich werde dir helfen, Ruth. Komm mich besuchen, falls ... wenn ...«
    »Sie ist nicht in die Falle geraten«, sagte da Mrs. Bailey. »Sie kommt heraus. Hilf ihr, Clarence.«
    »Ich werde ihr helfen, mein Schatz«, hatte Mr. Bailey versprochen und beim Verlassen des Zimmers wie jeden Sonntag leise die Tür hinter sich geschlossen, die seine Frau seit zehn Jahren gefangen hielt.
    Im Auto fiel nun kein Wort mehr. Ruth dachte an jenen Sonntag vor zwei Monaten

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