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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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Szenenbildes beschäftigt. Es war neun Uhr abends, und außer ihm war niemand in der Halle. In all den Monaten war er im Filmgeschäft keinen Schritt vorangekommen. Seine erste Etappe auf dem Weg nach Hollywood und zum Reichtum hatte sich als Schlag ins Wasser erwiesen. Als Bühnenbauhelfer war er eingestellt worden, und genau das war er noch immer. Sein Lohn war kaum höher als der eines gut bezahlten Schwarzen. Seine Karrierechancen jedoch waren genau wie die eines x-beliebigen Schwarzen: gleich null.
    Mit Wucht schlug Bill gegen den Fuß eines der beiden Holzgestelle, die eine Kulissenwand stützten, dann gegen den anderen. Er griff sich die beiden Stangen und ließ die Wand mit einem Poltern, das durch die ganze Halle hallte, zu Boden fallen. Das war es, was Hollywood ihn gelehrt hatte. Alles hing davon ab, auf welcher Seite man sich befand. Standest du vor den Kulissen, konntest du alles sein, was du wolltest. Heute ein Pascha, morgen ein reicher Industrieller, in jedem Fall der Herrscher der Welt. Du warst in einer traumhaften Villa, in einem Vorstandsbüro, in einem beheizten Swimmingpool.
    Bill sah hinüber auf das verstümmelte Filmset. Der pompöse Harem, in dem den ganzen Tag über lesbische Liebesszenen gedreht worden waren, wirkte nun deplatziert und lächerlich. Warst du hinter den Kulissen, entpuppten sich all die Realitäten als das, was sie waren: bemalte Pappwände auf Sperrholzgestellen. Die Wände würden wieder übermalt werden und einen neuen Schwindel präsentieren.
    An Bills erstem Arbeitstag hatte der Bühnenbaumeister auf die Holzstangen geklopft, an denen die Kulissen lehnten, und zu ihm gesagt: »Die Hölzer sind das, was zählt, denk immer daran. Wenn du einen Set abbaust, behandel die Hölzer pfleglich. Die Hölzer bleiben. Die Pappe dagegen ist keinen Pfifferling wert.« Das nämlich war Hollywood: nichts als wertlose Pappe. Schlimmer noch, eine Täuschung.
    Bill stellte die Pappwand in eine Ecke und baute dann zwei weitere Gestelle ab, er schraubte sie unten und oben auseinander und stapelte die Teile vorsichtig auf die anderen. Gewöhnlich hatte er es eilig, mit der Arbeit fertig zu werden und nach Hause zu kommen, damit er die weinende Linda Merritt beobachten konnte. An diesem Abend jedoch hatte er es nicht eilig. Von nun an würde er es nie mehr eilig haben. Linda war nämlich fort; sie war ausgezogen. Aus ihr würde kein Star werden. Sie hatte die weiße Fahne geschwenkt und war auf ihre Farm zurückgekehrt, wo sie gewiss nicht aufhören würde zu weinen, wenn auch aus anderen Gründen. Über die verpassten Chancen, über all ihre Enttäuschungen. Was Bill jedoch quälte, war, dass er sie nie wieder würde beobachten können.
    Er hob die Kulissenwand vom Boden auf und schleuderte sie mit Wucht in die Ecke, wo er bereits die übrigen gesammelt hatte. Die Wand bekam Aufwind wie ein Segel, blähte sich, stieg flatternd in die Höhe, bevor sie beim Aufprall auf den Boden zerknickte. Bill versetzte ihr einen wütenden Tritt, hob sie auf und räumte sie in die Ecke. Zurück am Set, warf er sich auf das breite Bett, in dem sich die Schauspielerinnen den ganzen Tag lang nackt gewälzt und auf dessen im Scheinwerferlicht wie Seide schimmernden Laken sie ihre künstlichen Körpersäfte verteilt hatten. Er vergrub sein Gesicht in einem Kissen und versuchte, seine Wut zu zügeln. Da stieg ihm der Duft von Shalimar, dem Parfüm der Hauptdarstellerin, dieser Schlampe, die sich für Gloria Swanson hielt, in die Nase. Bill verabscheute sie mehr als jede andere Schlampe, die in der Halle herumlungerte. Während die anderen ihn gar nicht beachteten, hatte sie ihn vom ersten Tag an auf dem Kieker gehabt. Sie ließ sich von ihm Kaffee und Wasser bringen, verlangte ihm alle möglichen Dienste ab, mit denen sie ihn erniedrigen konnte, und verspottete ihn obendrein in jeder Weise. Der Kaffee war ihr grundsätzlich zu schwarz oder zu süß oder zu dünn oder zu bitter. Und das Wasser war grundsätzlich zu warm oder zu kalt. Die Schlampe sah den Regisseur an und fragte: »Wo hast du bloß diesen Bauerntölpel aufgegabelt, Arty?« Und dann lachte sie, drehte sich um zur Maskenbildnerin oder dem Bühnenbaumeister und sagte: »Der ist doch wohl ein bisschen zurückgeblieben, oder?« Auch wenn Bill sie hasserfüllt ansah, sagen durfte er nichts. Und sie, die Schlampe, bemerkte seinen Blick, weidete sich daran, provozierte Bill noch, strich mit der Hand über ihre immerzu nackten Brüste und lachte. Lachte ihn

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