Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
Vom Netzwerk:
widersprach Karl. »Wir leben in einem freien Land ...«
    »Sieh dich doch mal um, Pole!«, fuhr Cyril auf. »Denkst du, die Schwarzen hier sind frei? Frei wozu? Zum Verhungern. Und denen soll ich einen Dollar abknöpfen?«
    »Du knöpfst ihnen einen Dollar ab und schenkst ihnen eine Hoffnung«, sagte Christmas.
    »Ich soll also tausend Schwarze finden, die bereit sind, einen winzigen Anteil an unserem Sender zu kaufen?«
    »Nicht tausend«, erwiderte Christmas. »Einer gibt vielleicht zehn Dollar, der Nächste hundert ...«
    »Hundert Dollar! Heilige Scheiße, ihr beide spinnt wirklich.«
    »Ich gehe zu Rothstein«, erklärte Christmas da. »Rothstein ist stinkreich. Er allein könnte mir auch tausend Dollar geben.«
    »Aber klar doch ...«, brummelte Cyril.
    In dem Augenblick wurde die Zimmertür geöffnet, und Sister Bessie kam mit einer Geldbörse in der Hand herein. Sie ließ den Verschluss aufschnappen und zählte kramend ihr Kleingeld. Schließlich warf sie eine Hand voll Münzen auf die Bretter des Gestells. »Den ersten Dollar habt ihr schon«, sagte sie.
    Christmas schaute sie an, und ihm war, als sähe er sie erst jetzt. Als Frau. Und erst in diesem Augenblick erkannte er in ihren Augen all das, was er an seiner Mutter nicht hatte akzeptieren können.
    Sister Bessie, die sich beobachtet fühlte, hatte ihm das Gesicht zugewandt.
    Verlegen schlug Christmas den Blick nieder und errötete. Dann schaute er wieder zu Sister Bessie auf. »Meine Mutter war auch eine Hure«, sagte er und versuchte, dabei ebenso stolz zu wirken wie sie.
    Cyril und Karl starrten ihn an.
    Zwischen Sister Bessies vollen dunkelroten Lippen blitzten ihre schneeweißen Zähne auf, sie trat an Christmas heran und nahm sein Gesicht in ihre schlanken Hände. Mit dem Daumen strich sie über seine Augenbraue und drückte ihm dann einen Kuss auf die Wange. Wieder zeigte sie lächelnd ihre makellos geraden Zähne. Sie wandte sich zu Cyril und Karl. »Ein Hurensohn wiegt hundert Söhne aus reichem Hause auf, merkt euch das«, sagte sie in scharfem Ton.
    Cyril und Karl gaben sich mit erhobenen Händen geschlagen.
    »Du musst stolz auf deine Mutter sein, Junge«, bemerkte Sister Bessie.
    »Ja«, antwortete Christmas nur.
    Abermals nahm Sister Bessie sein Gesicht in ihre schönen Hände und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Dann wandte sie sich an ihren Schwager: »Was ist? Nimmst du nun den Dollar oder nicht?«
    »Na gut«, gab Cyril nach und schlug mit der Faust auf die Bretter. Die Münzen klimperten. »Wenn man ständig mit Verrückten zu tun hat, wird man am Ende selbst verrückt. Versuchen wir’s also. Ich klappere meine Leute ab, Christmas seine Gangster.« Er schüttelte den Kopf. »Scheißradio ...«
    Christmas, Karl und Sister Bessie prusteten los.
    »Ja, ja, lacht nur ...«, grinste Cyril. »Mir ist noch immer nicht klar, wofür wir all das Geld brauchen.«
    »Du wirst schon sehen«, gab Karl zurück.
    »CKC wird ein Riesenerfolg«, sagte Christmas.
    »Wer?«, fragten Karl und Cyril einstimmig.
    »CKC. So wird unser Sender heißen«, erklärte Christmas stolz. »Die Anfangsbuchstaben unserer Namen. Ganz einfach, oder?«
    »Und wofür steht das erste C?«, hakte Cyril argwöhnisch nach. »Für Christmas oder für Cyril?«
    »Willst du am Anfang stehen?«, fragte Christmas lachend. »In Ordnung, das erste C gehört dir.«
    »Verarschst du mich jetzt?«
    »Nein, Partner.«
    »Partner ...«, wiederholte Cyril und ließ sich das Wort genießerisch auf der Zunge zergehen.
    »Partner«, bestätigte Karl strahlend.
    »Ich mit zwei Weißen als Partner, Sister Bessie. Kannst du das glauben?«, lachte Cyril. »Ich komme in die Hölle, so viel ist sicher.«
    In der darauffolgenden Woche bekam Cyril achthundert Dollar zusammen. Kaum hörten die Leute im Viertel, worum es ging, kratzten sie den letzten Cent aus ihren Taschen. Dabei begeisterte sie nicht so sehr die Vorstellung, einen winzigen Anteil an dem Radiosender zu besitzen, der für sie für Freiheit stand. Es war das Bewusstsein, ein kleines Stück der vermeintlichen Uhrenattrappe gekauft zu haben, das jedem Einzelnen das Gefühl gab, es den ahnungslosen Weißen einmal so richtig zu zeigen. Keiner der armen Schlucker verlangte eine Garantie, dass er den Dollar auch zurückbekam. Das Geld war gut angelegt, wenn man damit den Weißen eins auswischen konnte.
    Christmas sammelte tausendvierhundert Dollar. Fünfhundert gab allein Rothstein dazu. Christmas hatte gewusst, wie er ihm das Geld

Weitere Kostenlose Bücher