Der Junge, der Träume schenkte
Zahlreiche ummantelte Kabel verliefen durch die Wand zum Dach hinauf. Glatt gehobelte, auf zwei Holzböcke genagelte Bretter dienten als Gestell für eine primitive, selbst gebaute Apparatur.
»Das soll funktionieren?«, fragte Karl mit hochgezogener Augenbraue.
»Sister Bessie, mach das Radio an«, brüllte Cyril.
»Wenn du mit deinem Geschrei Jonathan und Bella-Rae aufweckst, werf ich euch alle drei raus«, drohte Sister Bessie, die in der Tür auftauchte. Bevor Cyril etwas erwidern konnte, fügte sie hinzu: »Ich habe es schon eingeschaltet. War doch klar, dass sie beim Anblick dieses Ungetüms nicht glauben würden, dass es funktioniert.«
»Geh nach drüben, Karl«, sagte Cyril. »Du auch, Christmas.«
Karl und Christmas betraten Sister Bessies Schlafzimmer. Die gesamte Wohnung war, wie Christmas feststellte, sehr sauber und ansprechend.
»Wie schon gesagt, ich arbeite nicht zu Hause, Junge«, lachte Sister Bessie mit einem Augenzwinkern.
Das Radio, das sie auf einer weiß lackierten Kommode stehen hatte, war keines, das man im Laden kaufen konnte. »Auch das hat der Verrückte da drüben gebaut«, erklärte sie und deutete auf das Gerät. Dann drehte sie an einem Knopf, der aus einem Korken gemacht war.
»Könnt ihr mich hören, ihr Trottel?«, schallte Cyrils Stimme durch den Raum. »Klar könnt ihr mich hören. Ihr seid beim Piratensender von Harlem auf Frequenz 540 ... nah bei der 570 von WNYC. So stößt jeder, der sich vertut, auf uns ... Schlau, euer Nigger, was? Wir decken ganz Manhattan und Brooklyn ab.« Kurze Pause. »Okay, ich hab die Nase voll vom Reden. Kommt wieder rüber. Wir können auf Sendung gehen.«
»Nein, können wir nicht«, widersprach Karl, als er wieder ins Zimmer trat und die Tür hinter sich schloss.
Verwundert sahen Christmas und Cyril ihn an.
»Wie stellt ihr euch das vor? Wollt ihr einfach so auf Sendung gehen?«
»Was sollten wir denn sonst tun?«, fragte Cyril finster.
»Die Menschen in die Lage versetzen, uns auch zu hören«, antwortete Karl.
»Soll heißen?«
»Sie wissen lassen, dass wir senden, Cyril«, antwortete Christmas, der begriffen hatte, worauf Karl hinauswollte.
»Meine Leute wissen es schon und können es kaum erwarten«, entgegnete Cyril.
»Aber der Rest der Stadt weiß es nicht, und wir können nicht nur darauf hoffen, dass die Leute rein zufällig, oder während sie eigentlich WNYC suchen, auf unsere Frequenz stoßen«, erklärte Karl in versöhnlichem Ton.
Cyril schnaubte. »Soll ich etwa durch ganz New York laufen und es herumerzählen?«
»So etwas in der Art«, grinste Karl.
»Geht ihr beiden doch«, brummte Cyril. »Ich habe meinen Teil der Arbeit erledigt.«
»Keiner von uns dreien wird gehen, Cyril«, erwiderte Karl lächelnd. »Das hier ist mein Gebiet.«
»Wenn du es sagst ...«
»Jetzt aber brauchen wir Geld«, fuhr Karl, ernst geworden, fort. »Ich kann fünfhundert Dollar beisteuern.«
»Ich habe keinen Cent«, musste Christmas kleinlaut eingestehen.
»Dito«, sagte Cyril.
»Also müssen wir die restlichen tausend wohl irgendwo anders auftreiben«, stellte Karl grinsend fest.
»Wozu brauchst du denn das ganze Geld?«, wollte Cyril wissen.
»Ich habe dir vertraut, Cyril«, entgegnete Karl und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Und du warst großartig.«
Cyril konnte sich ein zufriedenes Grinsen nicht verkneifen.
»Aber jetzt ist es an der Zeit, dass du mir vertraust«, sprach Karl weiter. »Hilf mir, tausend Dollar aufzutreiben.«
»Tausend Dollar ...«, murmelte der Schwarze.
»Auch du, Christmas«, sagte Karl und sah ihn eindringlich an. »Es ist wichtig.«
»Herrje, tausend Dollar liegen doch nicht einfach so auf der Straße«, brummte Cyril.
»Ich habe mir etwas überlegt«, erklärte Karl. »Wir bitten tausend Leute um je einen Dollar.«
Cyril schüttelte den Kopf. »Was redest du denn da?«
»Ein Dollar ist der Mindesteinsatz, um einen winzigen Anteil an unserem Sender zu besitzen«, fuhr Karl fort. »Wir tun unser Bestes, den Dollar am Ende des Jahres zurückzuzahlen. Und sollte der Gewinn höher ausfallen ... werden vielleicht zwei Dollar daraus.«
»Wahnsinnsgeschäft.«
»Cyril, hör ihm zu«, sagte Christmas aufgeregt. »Das ist eine gute Idee.«
»Nein, das ist eine Scheißidee!«, polterte Cyril los. »Wir sind ein illegaler Sender, wie willst du denn da Gewinne machen? Mit gesetzwidriger Werbung? Habt ihr zwei noch alle Tassen im Schrank?«
»Unser Sender wird doch nicht ewig illegal sein«,
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