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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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hinabgerieselt war. Zu dem Brief an Christmas, den abzuschicken sie niemals den Mut aufgebracht hätte. »Ich werde dich finden«, hatte Christmas vor mehr als drei Jahren in der Grand Central Station gesagt. Ruth hatte es ihm von den Lippen abgelesen. Und seit dem Tag wartete sie darauf, dass er sie fand. Und sie würde weiter warten. Denn sie brachte nicht den Mut auf, ihm ein Zeichen zu geben. »Deine, und niemals Deine«, sagte sie zu sich selbst.
    Während der folgenden Stunde stand John Barrymore geduldig Modell und setzte all die geheimnisvoll dunklen Mienen auf, für die er berühmt war. In keiner einzigen Aufnahme jedoch zeigte er das Dunkel, das Ruth ihm zuvor entlockt hatte.
    Am Tag darauf entwickelte Ruth die Fotos. Sie überreichte Clarence die offiziellen Bilder und suchte dann Barrymore zu Hause auf. »Hier sind die Negative und die Aufnahmen, die ich ohne Ihre Erlaubnis gemacht habe«, sagte sie. »Niemand hat sie gesehen.«
    Barrymore schaute sie sich an. »Du bist gut, Verräterin«, lobte er. »Das bin genau ich.«
    Da fischte Ruth ein Foto aus ihrer Tasche und reichte es ihm. Barrymore warf einen Blick darauf. Es war das Foto, das er von Ruth gemacht hatte. »Das bin auch genau ich«, sagte sie. »Zerreißen Sie es mit, wenn Sie Ihre zerreißen.«
    Während Ruth hinausging, drehte Barrymore das Foto um und las auf der Rückseite:
    Für Christmas. Deine, und niemals Deine, Verräterin .

51
    Manhattan, 1927
    Die Leute aus dem Viertel blickten im Vorbeigehen auf die große Uhr, deren Zeiger auf halb acht standen, und grinsten. Die weißen Polizisten hingegen, die dort entlangkamen, sahen kopfschüttelnd hinauf und bemerkten unvermeidlich: »Verstehe einer diese Nigger. Stellen eine Uhr auf, die gar nicht läuft.«
    Aber die Bewohner des Viertels grinsten aus gutem Grund, wussten sie doch, was sich hinter der Uhrenattrappe, die Cyril gemalt hatte, verbarg. Die erste Streife, die an dem Tag, als Signor Filesi den Rundfunkmast aufs Dach gehievt hatte, vor der Mietskaserne in der 125th Street stehen geblieben war, hatte eine Menge Fragen gestellt. Um eine Antwort verlegen – schließlich war der Sender illegal –, war Christmas schließlich auf die Idee gekommen, ihnen weiszumachen, es handele sich um das Gestell für eine große Uhr.
    »Was ist? Dürfen Harlems Nigger keine Uhr haben?«, hatte Cyril die Streifenpolizisten angefahren. Umringt von dem Pulk Schaulustiger, der an dem Tag zusammengekommen war, hatten die Polizisten keinen Streit riskieren wollen und waren mit dem Hinweis, die Angelegenheit melden zu müssen, weitergezogen. Und tatsächlich übermittelten sie dem zuständigen Department einen schludrigen Bericht über den Vorfall. Von da an machten die Weißen sich über die Uhr der Schwarzen lustig, und die Schwarzen ließen die Scherze gern über sich ergehen, wussten sie es doch besser.
    Nach einem weiteren Monat war die Sendestation funktionstüchtig und einsatzbereit. In den vergangenen zwei Monaten, so hatten Christmas, Cyril und Karl von Maria erfahren, hatte N. Y. Broadcast haufenweise Zuschriften von Hörern bekommen, denen Diamond Dogs gefallen hatte und die wissen wollten, warum es keine weiteren Folgen mehr gab. Die Geschäftsleitung von N. Y. Broadcast hatte sich beraten und entschieden, den Hörerwünschen nachzukommen. Niemandem kam dabei in den Sinn, Christmas wieder einzustellen. »Er ist kein Profi«, erklärten sie schlicht. Also wurden zwei Hörspielautoren mit dem Schreiben der Texte beauftragt. Anschließend engagierte man einen Schauspieler mit tiefer Stimme und einwandfreier Aussprache und nahm die Sendung unter dem Titel Gangster für eine Nacht ins Programm. Die Geschichten stellten sich jedoch als nichtssagend und unrealistisch heraus. Ihnen fehlte das Herzblut. Die Autoren stammten aus wohlhabenden Familien und waren in namenlosen Provinznestern in New England aufgewachsen. Zwei junge Hochschulabsolventen, die von Hollywood träumten und als Notbehelf mit dem Enthusiasmus zweier Angestellter Stücke fürs Radio schrieben. Der Sprecher war ein zweitrangiger Schauspieler, der als Werbesprecher seinen Lohn aufbesserte und sich vergebens um ein Engagement am Broadway bemühte. Keiner der drei hatte jemals einen Fuß auf die schmutzigen Straßen der Lower East Side oder die von Brownsville gesetzt. Die Ausdrücke, die sie benutzten, klangen gekünstelt, wie aus viertklassigen Gangsterfilmen. Solche Klischees konnten die Hörer nicht mitreißen, wie es Christmas in

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