Der Junge, der Träume schenkte
verschwinden sollte ... für immer, wenn ihr versteht, was ich meine. Aber diejenigen, die ihn verschwinden lassen sollten, standen unter Beschuss. Einer dieser unerfreulichen Momente, in denen sämtliche Polizistenaugen auf dich gerichtet sind. Das kommt vor. Aber es kommt eben auch vor, dass gewisse Plaudertaschen trotzdem schnellstens verschwinden müssen. Was also tun? Da ist der Verstand gefragt. Und manchmal greift einem der Zufall unter die Arme, auch wenn es ein grausamer Zufall ist. Unser Zufall will es, dass der Vater des Typen, der die Plaudertasche verschwinden lassen soll, in seiner Wohnung über der Autowerkstatt, die er betreibt, im Sterben liegt. Was also tut der Typ? Er bringt den Kerl, der verschwinden soll, in die Werkstatt, räumt ihn gemeinsam mit seinen Komplizen aus dem Weg, drückt einem Jungen zwei dicke Geldscheine in die Hand, damit der einen gestohlenen Wagen zu einem Feld hinausfährt und ihn dort mit der Leiche im Kofferraum abstellt. Als die Polizei dann am nächsten Tag das Haus des Verdächtigen stürmt, findet sie alle Familienmitglieder um das Sterbebett des Vaters versammelt. Und da nehmen die Polizisten ihre Mützen ab, entschuldigen sich, senken die Stimmen, und der Fall wird zu den Akten gelegt und niemals aufgeklärt werden ...«
»Das hab ich ihm erzählt!«, rief Greenie im Salon eines Bordells in der Clinton Street stolz. Und die Prostituierten, die bei ihm waren, seufzten und träumten davon, dem jungen Mann mit der warmen Stimme, der ihr Leben kannte wie kein anderer, einmal persönlich zu begegnen.
»Von welchem Fall spricht er?«, fragte Captain Rivers seine Männer im großen Saal des 97. Polizeireviers. »Ihr müsst mir diesen Christmas finden.«
»Wie sollen wir das denn machen, Chef?«, fragte der Sergeant. »Er ist eine Stimme im Äther.«
»Fangt beim Namen an«, schimpfte der Captain. »Christmas! Wie viele Leute in New York haben wohl einen so bescheuerten Namen?«
»Das ist natürlich ein Deckname«, sagte der Sergeant.
Der Captain nickte zustimmend. »Ja, das glaube ich auch.«
»Aber wir könnten ...«
»Wisst ihr, wieso wir die Polizisten Cops nennen?«, erklang gerade Christmas’ Stimme.
»Ruhe«, befahl der Captain und horchte auf das Radio.
»Wegen des Sterns aus Kupfer, copper «, fuhr Christmas fort.
»Ich wusste die Antwort«, bemerkte ein Polizist.
»Du bist hier nicht bei einem Quiz, Klugscheißer«, herrschte ihn der Captain an.
»Aber zu Zeiten von Five Points«, erzählte Christmas weiter, »nannte man sie auch Lederköpfe , weil sie Helme aus Leder trugen. Doch ich fürchte, die konnten gegen die Knüppel wenig ausrichten ...«
»Das glaube ich auch«, lachte Sal in Cettas Wohnzimmer, wo sie Hand in Hand nebeneinandersaßen, das Ohr dicht am Radio.
»So höre ich nichts«, protestierte Cetta und gab Sal einen Klaps auf den Arm.
»Apropos Knüppel: Da fällt mir ein, was mein Vater mir immer eingebläut hat ...«, sagte Christmas.
»Sein Vater?«, lachte Sal. »Was für einen Blödsinn der Hosenscheißer da verzapft!«
»Immer, wenn er mich im Treppenhaus mit meiner Baseballausrüstung sah«, fuhr Christmas fort, »dröhnte er mit seiner tiefen Stimme: ›Hör auf mich, Hosenscheißer. Wirf den Ball weg und behalt den Schläger.‹«
»Das hab ich zu ihm gesagt, nicht sein Vater«, lachte Sal. Im nächsten Moment wurde er schlagartig ernst und presste die Lippen zusammen. Und Cetta spürte, dass er angespannt und wie versteinert war. Kurz darauf sprang Sal auf und schaltete das Radio aus. »Lass uns spazieren gehen. Diese Sendung ist kompletter Schwachsinn.« Er ging zur Wohnungstür und öffnete sie. »Was ist jetzt, kommst du?«, fragte er barsch.
»Du kannst es ruhig zeigen, wenn du gerührt bist«, erwiderte Cetta.
»Du bist genauso dämlich wie dein Sohn«, grollte Sal und knallte im Hinausgehen die Tür zu.
Cetta lächelte, bevor sie das Radio wieder einschaltete und sich auf das Sofa kuschelte, dorthin, wo Sal eben noch gesessen hatte. Seine Wärme saß noch in den Polstern.
»Kennt ihr den wahren Unterschied zwischen einem italienischen und einem jüdischen Gangster?«, fragte Christmas gerade.
In Wally’s Bar and Grill umfasste ein betagter Mafioso, der auf wundersame Weise lebend ein ehrwürdiges Alter erreicht hatte, mit seinen knorrigen Arthritishänden die Schultern seines Sohnes. »Hören wir doch mal, ob dieser Schnösel uns tatsächlich kennt«, sagte er auf Italienisch.
Und der Sohn wiederum drehte sich
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