Der Junge, der Träume schenkte
Publikums erheblich. Die Polizei jedoch kam der Entdeckung des Geheimsitzes von CKC noch nicht einmal nahe. Und das lag nicht nur am Netz des Schweigens, das in Harlem und unter den Gangstern lückenlos funktionierte, sondern auch daran, dass die Polizisten, selbst größtenteils begeisterte Hörer der Sendung, ihre Arbeit nie wirklich gründlich taten.
So verging der Winter, und der Frühling brach an. Da begannen die großen Sender erneut, Druck auszuüben. Unter Berufung auf das unveräußerliche Legalitätsprinzip, gegen das CKC tagtäglich verstieß, nahmen sie nun Einfluss auf die Presse.
»Ewig halten wir das nicht durch«, erklärte Karl eines Abends nach der Sendung.
»Was willst du tun? Etwa aufgeben?«, murrte Cyril.
»Ich habe nur gesagt, ewig halten wir das nicht durch«, wiederholte Karl. »Es wird Zeit, den Sprung zu wagen. Jetzt oder nie.«
Cyril runzelte die Stirn. »Was für einen Sprung?«
Christmas saß ein wenig abseits und hörte schweigend zu. Düstere Gedanken schwirrten ihm durch den Kopf.
»Wir müssen uns um ein breiteres Programm bemühen«, fuhr Karl fort. »Wir müssen ein richtiger Sender werden. Und uns in die Legalität, in das System, begeben. Uns einfügen. Wenn wir das jetzt nicht schaffen, machen sie uns fertig. Sag du ihm, dass ich recht habe, Christmas.«
Christmas wich Karls Blick aus. »Ja ... vielleicht ...«, brummte er.
»Was heißt ›vielleicht‹?« Karl breitete verzagt die Arme aus. »Wir hatten das doch besprochen ...«
»Ja, ja, schon gut«, fuhr Christmas auf und erhob sich. »Aber ich weiß gar nichts mehr ...« Damit rannte er türenknallend aus Sister Bessies Wohnung.
»Was ist los mit ihm?«, fragte Cyril.
Karl gab keine Antwort und trat ans Fenster. Er sah Christmas unten aus dem Haus kommen und langsam auf dem schmutzigen Gehweg der 125th Street umherschlendern.
»Also, was ist mit dem Jungen los?«
»Was weiß denn ich! Wieso fragst du ihn nicht selbst?«, erwiderte Karl schroff. »Ich bin doch nicht sein Kindermädchen. Und deins auch nicht.«
»Wenn du das so siehst, Partner«, sagte Cyril, und seine Miene verfinsterte sich, »dann verpiss dich.«
»Schon gut, entschuldige.« Karl setzte sich wieder hin. »Ich weiß, wie Radio funktioniert. Im Moment schwimmen wir oben auf der Welle, die Leute sind noch neugierig, aber ... alles steht und fällt mit Christmas. Und er kann sich nicht ewig halten.«
Cyril griff nach einem Mikrofon. »Das war es dann also, meinst du?«
»Nein, das meine ich nicht. Aber wir müssen etwas verändern ... wir müssen von Christmas unabhängig werden.«
»Willst du den Jungen etwa ausbooten?«
»Und was, wenn er uns ausbootet?«
»Warum sollte er das tun?«, wehrte Cyril ab.
»Ich habe nicht gesagt, dass er es tun wird«, stellte Karl richtig. »Doch wir müssen etwas verändern. Wir brauchen andere Sendungen ... wir brauchen ...«
»Hat Christmas deshalb seit einigen Tagen schon so eine Scheißlaune?«, fiel Cyril ihm ins Wort.
»Vielleicht«, sagte Karl. »Vielleicht hat er aber auch etwas anderes im Sinn.«
»Spürt er, dass seine Tage gezählt sind?«
»Ich weiß nicht, was er spürt. Aber wir zwei müssen uns etwas einfallen lassen, Cyril ... und anfangen, Geld zu verdienen. Unser Traum muss langsam Früchte tragen, sonst ...«
»Bleibt er nur ein Traum.«
»Genau ...«
»Und von Träumen wird man nicht satt.«
»Nein.«
»Was sagt denn der Junge?«
Karl sah Cyril an. »Gar nichts sagt er.«
Cyril stand vom Stuhl auf und ging ans Fenster. Christmas stand noch immer auf der Straße. »Mir gefällt das nicht ...«
Christmas blickte hinauf zum Fenster und bemerkte Cyril. Zum Teufel auch mit dir, dachte er wütend und machte sich auf den Heimweg. Unterdessen grübelte er darüber nach, was drei Tage zuvor geschehen war, nachdem er ins Funkhaus von N. Y. Broadcast gegangen war, da ihn Neal Howe, der Intendant, der ihn entlassen hatte, in aller Heimlichkeit zu sich bestellt hatte.
»Kommen Sie herein, Mr. Luminita«, hatte der alte Herr mit den Militärabzeichen auf dem Revers ihm zugerufen.
Neben ihm an einem großen Kirschholztisch saßen auch die anderen drei Geschäftsführer des Rundfunksenders sowie der neue Programmchef, ein dreißigjähriger Schlaks, der Karls Aufgaben übernommen hatte.
»Wissen Sie, weshalb Sie hier sind, Mr. Luminita?«, fragte Neal Howe.
»Sie wollen mich wohl nicht noch mal entlassen?«, gab Christmas zurück, während er herausfordernd die Hände in den
Weitere Kostenlose Bücher