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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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lachend zu seinem Sohn um, einem stämmigen sechzehnjährigen Jungen, der sich mit einem Klappmesser die Nägel reinigte.
    »Der entscheidende Unterschied zwischen einem italienischen und einem jüdischen Gangster«, erklärte Christmas, »besteht darin, dass der Italiener seinem Sohn alles über das Gewerbe beibringt, damit er einmal als Gangster in seine Fußstapfen tritt ...«
    »Das kannst du laut sagen, Radioschnösel«, lachte der alte Mafioso. Und Sohn und Enkel fielen in sein Gelächter ein.
    »Der Jude dagegen schickt seinen Sohn auf die Universität, damit er nicht gezwungen ist, die Dummheiten seines Vaters zu wiederholen, und als Amerikaner durchgeht ...«
    »Was zum Teufel redet dieser Bastard denn da?«, schimpfte der alte Mafioso und ließ die Schultern des Sohnes los.
    Und der Sohn drehte sich zu seinem Sohn um, riss ihm das Messer aus der Hand und verpasste ihm eine Ohrfeige. »Ab morgen gehst du wieder zur Schule, du Nichtsnutz!«, fuhr er ihn an und hielt ihm drohend den Zeigefinger unter die Nase.
    »Auch heute Abend ist es spät geworden ... Zeit, sich zu verabschieden«, sagte Christmas’ Stimme. »Gute Nacht, New York ...«
    »Gute Nacht, New York!«, riefen die im Lindy’s versammelten Gangster im Chor.
    »Er ist ein Champion«, übertönte Rothstein alle anderen. »Ich habe ihn zum Radio gebracht. Und wie ihr wisst, setze ich nie aufs falsche Pferd.«
    Cetta stand vom Sofa auf, ging zum Radio und fuhr mit der Hand wie liebkosend über die glänzende Oberfläche.
    »Und auch dir eine gute Nacht, Ruth ... wo immer du bist ...«, schloss Christmas.
    Cetta schaltete das Radio aus. Knisternd kühlten sich die Röhren in der plötzlich entstandenen, fast greifbaren Stille der Wohnung ab.
    Es dauerte nicht lange, bis der Untergrundsender CKC in aller Munde war. Die Gangster betrachteten Diamond Dogs schon bald als ihre persönliche Radiosendung. Und da sich blitzschnell herumgesprochen hatte, dass Rothstein, um Christmas zu hören, ein Radio für das Lindy’s gekauft hatte, bestückten auch viele andere rivalisierende Gangs und Verbrecherorganisationen Spielhöllen, Billardsäle, Speakeasy -Kneipen und sogar die Autowerkstätten, in denen gestohlene Wagen umlackiert wurden, damit sie alle um Punkt halb acht Diamond Dogs verfolgen konnten.
    Nicht anders jedoch war es in den Armenvierteln von Manhattan und Brooklyn. Dank Christmas’ Erzählungen sahen die einfachen Leute sich in ihrer Fantasie hartgesotten und imstande, sich die Freiheit zu erkämpfen, die ihnen die Gesellschaft im wirklichen Leben versagte und die einzufordern sie nicht stark genug waren. Christmas war zu ihrem Sprachrohr geworden. Sie träumten von Chancen, sie träumten davon, Grenzen zu überschreiten. Und sie fühlten sich – bequem vor den Röhrenkästen sitzend – stark genug, Risiken einzugehen.
    Harlem schließlich, die geheime Hochburg des Untergrundsenders, fühlte sich als wahre Heimat der Freiheit. Und jeder Schwarze im Viertel – ob er nun anfangs den Dollar, um den Cyril ihn gebeten hatte, investiert hatte oder nicht – betrachtete sich als Miteigentümer des Senders, der sich hinter der gemalten Uhr auf dem Dach des Mietshauses in der 125th Street verbarg.
    Cyril hatte keine freie Minute mehr und baute ein Radio nach dem anderen für die Bewohner des Viertels. Die Stolzeste unter allen Schwarzen aber war Sister Bessie, die überall herumposaunte, sie habe den ersten Dollar gestiftet, als wäre er der Grundstein, auf den sich die gesamte Unternehmung stützte.
    Selbstverständlich ließen die Zeitungen sich die Gelegenheit nicht entgehen, die Geschichte groß und breit auszuschmücken. Auf den Lokalseiten fand sich stets ein Hinweis auf die Sendung, auf das Phänomen, das sich wie ein Ölteppich ausbreitete.
    »Alles kostenlose Werbung«, kommentierten Christmas und Cyril glücklich, wenn sie die emphatischen Schlagzeilen lasen. Karl hingegen schüttelte besorgt den Kopf. Aber er sagte nichts. Er war nachdenklich geworden.
    Schon bald machten die großen, legalen Radiostationen massiven Druck, weil ihre Einschaltquoten um halb acht in schwindelerregende Tiefen sanken und keines ihrer Programme dem Wettbewerb standhalten konnte, und die städtischen Behörden schalteten die Polizei ein. Natürlich gab es Versuche, Diamond Dogs zu kopieren, doch keiner der Autoren oder Schauspieler kam an Christmas’ Unverbrauchtheit heran, und vor allem dämpfte die Tatsache, dass die Ausstrahlung legal war, die Spannung des

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