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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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anderen, um leise hinzuzufügen: »Aber mach sie mir nicht kaputt.« Und diese Männer fesselten Cetta ans Bett, fuhren ihr mit einem Messer an Brüsten und Schenkeln entlang, hefteten ihr Wäscheklammern an die Brustwarzen, gaben ihr Befehle und ließen sich von ihr die Schuhe lecken.
    »Sie ist deine Herrin«, sagte Ma’am zu wieder anderen Freiern. Und Cetta fesselte sie ans Bett, fuhr ihnen mit einem Messer über die Brust und um die Hoden, heftete ihnen Wäscheklammern an die Brustwarzen, gab ihnen Befehle, ließ sich die Schuhe lecken und steckte ihnen die Absätze ihrer Stöckelschuhe in den Mund.
    Ma’am erriet, was die Freier wollten. Und Cetta besorgte es ihnen so, wie sie es wollten. Doch bevor sie das Bordell betrat, dachte sie niemals an das, was sie erwartete. Und sie vergaß alles gleich wieder, wenn sie nach der Arbeit in Sals Auto nach Hause fuhr. So gelang es ihr, eine Distanz zwischen sich und all dem zu schaffen, was zu ihrem Beruf gehörte.
    Niemals fragte sie nach dem Warum. Sie hatte die Frage nicht gestellt, als ihre Mutter sie zum Krüppel gemacht hatte. Auch nicht, als der Mann mit dem Holzbein sie vergewaltigt hatte oder der Schiffskapitän sich die Überfahrt mit Sex hatte bezahlen lassen. Das Warum interessierte Cetta nicht. Die Dinge waren so, wie sie waren. Doch eines hatte sie sich geschworen: Sie würde sich von nichts und niemandem unterkriegen lassen.
    Am nächsten Tag hielt Sal pünktlich um elf Uhr den Wagen am Straßenrand und zwang dabei einen fliegenden Händler, in aller Hast seine armseligen Waren beiseitezuräumen. Cetta, die auf der Treppe wartete, schenkte dem Händler im Vorbeigehen ein Lächeln und legte ihm die Hand auf die Schulter. Dann stieg sie ins Auto. Sal gab Gas und brauste davon – mitten über den Pappkoffer mit den Schnürsenkeln, die der Händler zum Verkauf anbot.
    »Wieso hast du das getan?«, fragte Cetta, während sie sich nach dem armen Kerl auf der Straße umdrehte.
    »Weil du ihn angelächelt hast«, erwiderte Sal.
    »Bist du etwa eifersüchtig?«
    Sal sah stur auf die Straße vor sich. »Red keinen Unsinn.«
    »Wieso denn dann? Ich verstehe nicht ...«
    »Wenn du ihn anlächelst, nachdem ich ihn verjagt habe, ist das, als sagtest du ihm, er sei im Recht. Und du sagst es ihm vor mir . Also ist es, als sagtest du mir, ich sei im Unrecht. Und eines Tages bilden er oder irgendein anderer Idiot sich womöglich ein, sie könnten mir das direkt ins Gesicht sagen. Deshalb musste ich ihm klarmachen, dass ich hier der Chef bin.«
    Einen Moment war Cetta still, doch dann brach sie in Gelächter aus. »Sal, dass du zu einem derart langen Satz fähig bist, hätte ich nie gedacht!«
    Sal fuhr unbeirrt weiter. Er nahm jedoch nicht den Weg zum Bordell.
    »Wohin fahren wir?«, wollte Cetta nach einer Weile wissen.
    »Nach Coney Island«, antwortete Sal. Er parkte am Kai, zog zwei Fahrscheine aus der Tasche, die genauso aussahen wie der, den Cetta in ihrer Handtasche aufbewahrte, und stieg aus dem Wagen. »Beeil dich«, drängte er sie barsch. »Die Fähre wartet nicht auf dich.« Dann nahm er sie beim Arm und zog sie mit sich zum Anlegeplatz. Entschlossen bahnte er sich einen Weg durch die wartenden Fahrgäste, warf einem Matrosen, der zu protestieren gewagt hatte, einen bösen Blick zu und verfrachtete Cetta in den Bauch des eisernen Wals.
    Als die Fährsirene das Signal zur Abfahrt gab, zuckte Cetta zusammen, als erwachte sie aus einem Traum. Und sie musste sich auf die Lippen beißen, um nicht in Freudentränen auszubrechen.
    Doch während die Fähre vom Kai ablegte, war Cetta bereits wieder in ihre Traumwelt abgetaucht. Sie dachte an nichts, nahm kaum etwas von dem wahr, was sie umgab. An die Reling gelehnt, stand sie am Bug, starrte auf das Wasser, das sich schäumend teilte, und hielt sich ganz fest aus Angst, sie könnte sich in eine Möwe verwandeln und in die Lüfte erheben, während sie doch bleiben wollte, wo sie war, mit den Füßen auf dem vibrierenden Metall, und das erste Geschenk genießen wollte, das sie je bekommen hatte. Nicht mal an Sal konnte sie in diesem Moment denken. Sie empfand auch keine Dankbarkeit. Sie stand einfach da und lächelte, während der Wind ihr das dichte schwarze Haar zerzauste. Ganz kurz nur drehte sie sich abrupt um, als befürchtete sie, Manhattan könnte verschwunden sein. Dann blickte sie wieder nach vorn, zur ihrer Linken die Küste Brooklyns, vor ihr die offene See. Da musste sie plötzlich lachen. Und sie hoffte,

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