Der Junge, der Träume schenkte
anziehen.«
Angestellte, dachte Christmas.
»Wer sind Sie denn?«, sprach ihn in dem Moment ein junger Mann, wahrscheinlich der Regieassistent, an und blickte in seine Aktenmappe. »Haben Sie etwas am Set zu tun?«
Christmas sah ihn an. Und da begriff er. »Nein, ich habe hier nichts zu tun«, antwortete er lächelnd und ging.
Das war nicht seine Welt. Er würde nicht Morgen für Morgen pünktlich in Büro elf erscheinen wie ein braver Angestellter. Während Christmas über die belebten Gänge des Gebäudes auf den Ausgang des Studiogeländes zusteuerte, rief er sich noch einmal das Gefühl der Trunkenheit in Erinnerung, das ihn beim Schreiben ergriffen hatte, als er die Figuren entworfen hatte, um sie dann unerwartet lebendig aus Tinte und Papier auftauchen zu sehen. Er dachte zurück an den Glanz in den Augen seiner Mutter, wenn sie ihm vom Theater vorgeschwärmt hatte. Er erinnerte sich an die gespannte und ergreifende Stille, wenn das Publikum verstummte; an das zarte, fast sakral anmutende Rauschen, wenn der Vorhang sich öffnete; an die warmen Klänge, mit denen das im Orchestergraben vor der Bühne verborgene Orchester den Raum erfüllte; an das strahlende Licht der aufflammenden Scheinwerfer. Wie zurückversetzt an jenen Abend mit Maria, an dem er Fred Astaire kennengelernt hatte, hörte er sein Herz verstummen und eins werden mit der Stille der Zuschauer. Und mit ihnen gemeinsam hielt er den Atem an, als wäre er wieder dort, in dem dunklen Saal, über dem ein leichter, kaum wahrnehmbarer Modergeruch lag.
Im nächsten Augenblick, während er einer Gruppe schnatternder Komparsen auswich, war es ihm klar geworden. Als er zum Tor der MGM-Studios hinausging, hatte sich die Hand, die den Vertrag festhielt, wie von selbst geöffnet, und der warme Wind Kaliforniens hatte das zerknitterte Blatt Papier davongeweht. Und genau in dem Augenblick hatte Christmas beschlossen, nach New York zurückzukehren und es mit dem Schreiben zu versuchen. Für das Theater.
Noch weiß es niemand, dachte Christmas lächelnd, als er nun seinen Weg nach Harlem fortsetzte. Er wollte zum alten Standort von CKC. Dorthin musste er zurückkehren, dort musste er neu beginnen. An dem Ort würde er seine Grundfesten finden.
Er bog in die 125th Street ein. Von Weitem sah er einen Menschenauflauf, der sich über den gesamten Bürgersteig bis auf die Fahrbahn ergoss. Und ein blinkendes Polizeiblaulicht. Und als er näher kam, bemerkte er gleich zwei Streifenwagen. Mit schnellen Schritten eilte er auf die Leute zu, die sich vor dem Eingang zum Sitz von CKC drängten.
»Was ist hier los?«, fragte er eine fröhlich lachende Schwarze.
Die Frau drehte sich um. Als ihre vollen, dunklen Lippen sich zu einem Lächeln dehnten, blitzten strahlend weiße, gerade Zähne auf. »Du bist doch Christmas«, sagte sie.
»Was ist hier los?«, fragte er abermals.
»Christmas ist auch da!«, schrie die Frau in die Menge.
Alle, die sie gehört hatten, drehten sich um. »Christmas ist auch da!«, tönte es vielstimmig, und die Nachricht machte in Windeseile die Runde. Hände griffen nach ihm und schoben ihn mitten in die Straßenversammlung hinein. Und im Vorübergehen klopfte ihm jeder der Umstehenden auf die Schulter, umarmte ihn, machte eine Bemerkung.
»He, erinnerst du dich an mich?«, fragte ein hünenhafter Schwarzer. »Ich bin der, der dir das Fahrrad geliehen hat, an dem Tag, als wir die alte Antenne da raufgehievt haben.« Dabei deutete er mit seinem mächtigen Arm zum Dach des Gebäudes.
»Die alte Antenne?«, fragte Christmas und sah nach oben.
Vom Dach ragte eine lange, schlanke Antenne mit einer goldfarbenen Kugel an der Spitze auf. In ihrer Mitte hing eine glänzende grün-goldene Uhr, die halb acht anzeigte. Und darüber prangten die Buchstaben CKC .
Christmas sah den schwarzen Hünen an. »Du bist Moses, stimmt’s?«
Doch der Schwarze antwortete nicht. »Christmas ist da!«, brüllte er in die Menge. Dann wandte er sich zu ihm um, packte ihn an den Hüften und hob ihn mit erstaunlicher Leichtigkeit hoch, um ihn den Leuten zu präsentieren. Ein anderer Schwarzer ergriff Christmas’ Füße und stemmte sie ebenfalls hoch. Lachend fingen sie an, ihn in die Luft zu werfen. Schließlich bildeten einige Männer spontan eine Reihe und ließen Christmas über ihre Köpfe hinweg bis in die Mitte des Gedränges gleiten, dabei feierten sie ihn wie einen Helden.
Als Christmas wieder abgesetzt wurde, war er völlig außer Atem, und in seinem Kopf
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