Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
Vom Netzwerk:
daran«, erklärte der Polizist, während er den Leuten, die auf das Wagendach klopften, zulächelte. »Jeder, den wir schnappen, wird dafür büßen, uns verarscht zu haben.«
    »Lass uns raufgehen, Christmas, ich will dir deinen neuen Arbeitsplatz zeigen«, sagte unterdessen Cyril.
    Während er sich zum Hauseingang wandte, sah Christmas sich in der Menge um. Die Leute wirkten glücklich. Es war ein Fest. Inmitten all der Schwarzen fand sich auch der ein oder andere Weiße. Einer von ihnen, ein kräftiger Kerl mit schwarzen Locken, tiefen Schatten um die Augen und einer schmalen Adlernase, trat ihm in den Weg und starrte ihn finster an.
    »Ich bin der Kalabrier«, sagte er.
    Christmas musterte ihn. Sein zu grelles Sakko beulte sich unterhalb der Achsel aus. Und in der rechten Hosentasche ließen sich die Umrisse eines Klappmessers erahnen. »Was gibt es für ein Problem?«
    »Ich bin aus Brooklyn«, sagte der Kalabrier. Er näherte sich Christmas’ Ohr. »Und ich habe eine eigene Gang«, flüsterte er ihm zu. Nach einigen verstohlenen Blicken nach rechts und links beugte er sich abermals zu Christmas vor. »Wieso erzählst du in deiner Sendung nicht mal von mir? Ein bisschen Werbung schadet nie, wenn du verstehst, was ich meine. Im Gegenzug verrate ich dir vielleicht ein paar Geheimnisse.«
    Christmas grinste.
    »Willst du was Komisches hören?«, fragte der Gangster. »Weißt du, wie ich heiße? Pasquale Anselmo. Ich bin in New York wohl der Einzige, über den es zwei FBI-Akten gibt. Die wissen nämlich nicht, welches nun der Vorname und welches der Nachname ist. In der einen Akte heißt es ›Pasquale Anselmo‹, in der anderen ›Anselmo Pasquale‹.« Erwartungsvoll sah er Christmas an. »Verstehst du nicht?« Der Gangster lachte. »Komm schon, das ist doch komisch.«
    »Ja. Das ist komisch, Kalabrier«, sagte Christmas grinsend. »Hör dir die Sendung an.«
    »Was soll denn das?«, mischte sich ein Schwarzer in einem Satinanzug ein. »Für die Weißen machst du Werbung und für die Schwarzen nicht?« Er baute sich vor dem Kalabrier auf. »Glaubst du etwa, nur Italiener, Juden und Iren wären echte Kerle?«
    »Verschwinde, du Zuhälter«, sagte der Kalabrier.
    »Du bist hier in meinem Revier, du bleiches Stück Scheiße«, gab der Schwarze zurück.
    »Okay, hört auf damit«, ging Cyril dazwischen. »Was zum Teufel geht denn in euren Köpfen vor? Verpisst euch, verdammt noch mal, alle beide!«
    Der Kalabrier warf dem Schwarzen einen feindseligen Blick zu. »Man sieht sich auf der Straße.« Dann ging er gemessenen Schrittes davon.
    »Wann du willst!«, brüllte ihm der andere hinterher.
    Cyril führte Christmas in Sister Bessies ehemalige Wohnung im fünften Stock. »Ich habe auch ein Haus gekauft. Ein sehr großes. Hier in Harlem sind die spottbillig«, sagte er, während er die Tür aufschloss, auf der nun CKC stand. »Sister Bessie wohnt jetzt bei uns. Ihre Kinder sind ja schließlich mein Neffe und meine Nichte.«
    Cyril öffnete die Tür. Die Wohnung war frisch gestrichen. Überall standen Kisten voll mit elektrischem Gerät herum, Kabel verliefen kreuz und quer.
    »Noch ist es ein einziges Chaos. Aber es wird einmal ein echtes Schmuckstück«, erklärte er stolz. Dann griff er nach einem Mikrofon und zeigte es Christmas. »Hier wirst du hineinsprechen. Es ist hochempfindlich.«
    Christmas blickte sich um. Er war wieder zu Hause.
    »Hast du sie gefunden?«, fragte Cyril unvermittelt.
    »Ich habe beschlossen, fürs Theater zu schreiben«, gab Christmas ausweichend zurück.
    Schweigend sah Cyril ihn an.
    Christmas ging in der Wohnung umher, zerstreut öffnete er Kartons, betrachtete glänzende Apparate. Schließlich wandte er sich um. »Ich will nicht über sie reden.«
    Cyril ließ sich auf einem klapprigen Stuhl nieder. Er rieb sich die knotigen Finger und blickte betrübt drein. Als er wieder aufstand, hatte er jedoch ein Lächeln aufgesetzt. »Fürs Theater, ja?«, sagte er. »Ich mag das Theater.«

66
    Manhattan, 1928
    Das Schreiben erwies sich als unerwartet schwierige Aufgabe.
    Den ersten Tag verbrachte Christmas vor seiner Underwood, ohne auch nur ein einziges Wort zu Papier zu bringen. Er starrte auf das leere Blatt und konnte sich nicht entschließen anzufangen. Es war, als hätte er die Unbekümmertheit verloren, mit der er zuvor dem Leben begegnet war, als schiene ihm die Welt mit einem Mal eine ernste Angelegenheit und als hätten ihn Erfolg und Geld nicht noch unverschämter, sondern, im

Weitere Kostenlose Bücher