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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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betreten hatte, war der Schneider fast gestorben vor Angst. Er hatte geglaubt, der Junge käme aus einem ganz bestimmten Grund. Als ihm dann klar wurde, dass Christmas nicht vorhatte, ihn zu erpressen, war er derart erleichtert und dankbar gewesen, dass er ihm alles geschenkt hatte. Und wieder hatte das Ereignis im Viertel in Windeseile die Runde gemacht. Moses Strauss stand nämlich im Ruf, ein Halsabschneider zu sein. Er gewährte den armen Bewohnern der Lower East Side weder Darlehen noch den geringsten Zahlungsaufschub. Wenn sogar dieser jüdische Halsabschneider vor Christmas katzbuckelte, musste alles, was man sich über die Diamond Dogs erzählte, wahr sein.
    »Wirklich, das war nur Spaß ...«, wiederholte der Anführer der Gang, von der Christmas wenige Tage zuvor abgewiesen und ausgelacht worden war.
    Santo Filesi war ein paar Schritte zurückgeblieben. In der Hand hielt er eine große Blechdose. Er fühlte sich in Gegenwart dieser Halbstarken unbehaglich. Auch er war von oben bis unten neu eingekleidet. Moses Strauss hatte ihm zunächst, ungewöhnlich genug, nur einen Rabatt gewähren wollen. Doch dann hatte der Schneider geglaubt zu bemerken, wie Christmas’ Gesicht sich verfinsterte. Da hatte der Schneider alles eingepackt und nicht aufgehört zu betonen, es sei ihm eine Ehre, solch tüchtige Jungs zu seinen Kunden zu zählen.
    »Sie nehmen es mir doch nicht übel, wenn ich Sie Jungs nenne, nicht wahr, meine Herren?«, hatte er eilig mit einer Verbeugung hinzugefügt.
    »Was willst du?«, fragte Christmas den Anführer der Gang. »Ich habe zu tun.«
    »Ich wollte bloß sagen ...«, stammelte der Junge, der mit seinen sechzehn Jahren groß und kräftig war und die Züge eines Mastiffs hatte. Sein niedriger Haaransatz ließ nur wenig Raum für seine Stirn. »Also, wir dachten ...« Er sah sich unter seinen Bandenmitgliedern um, die ähnlich gefährlich aussahen wie er und dichte schwarze Augenbrauen hatten, sich jedoch genau wie er Mühe gaben, zu lächeln und freundschaftlich zu tun. »Also, wir dachten, dass es keinen Grund gibt, warum wir nicht Freunde sein sollten. Wir sind alle Italiener ...«
    »Ich bin Amerikaner«, versetzte Christmas und maß sie mit seinen Blicken.
    Diesmal lachte niemand.
    »Na ja, eigentlich sind wir ja auch Amerikaner ...« Der Junge drehte den schäbigen Hut, den er vor Christmas vom Kopf genommen hatte, in seiner Hand. »Was ich sagen will, ist ... Keine Ahnung, vielleicht wollt ihr Diamond Dogs euch ja vergrößern. Wir sind bereit, bei euch mitzumachen ... wenn es dir recht ist. Wir könnten aus den beiden Gangs eine machen ...«
    Christmas sah ihn mit einem spöttischen Grinsen an. Dann drehte er sich zu Santo um und lachte. Santo versuchte mitzulachen.
    »Was soll ich mit euch anfangen?«, sagte Christmas zu dem Jungen. »Du hattest deine Chance und hast sie vermasselt.«
    »Ich hab dir doch gesagt, es war nur Spaß ...«
    »Aber ihr habt mich nicht zum Lachen gebracht.«
    »Na ja, vielleicht war es ein dummer Spaß ...«, räumte der Junge an seine Kumpel gewandt ein und zwinkerte ihnen zu.
    »Ja, klar, das war ein dummer Spaß«, tönten alle im Chor.
    »Was hätte ich davon, wenn wir uns zusammentun?«, fragte Christmas daraufhin skeptisch.
    »Wir sind viele«, sagte der Junge.
    »Hier geht’s ums Geschäft«, erwiderte Christmas. »Wie viel kassiert ihr denn so in der Woche?« Bevor der Junge antworten konnte, fuhr er fort: »Ach was, ihr wärt mir nur ein Klotz am Bein, entschuldigt, wenn ich euch das sage.«
    Der Anführer der Gang ballte die Fäuste, schluckte die Kränkung jedoch hinunter.
    Schweigend sah Christmas ihn an. »Machen wir’s doch so«, schlug er dann in nachsichtigem Ton vor, »ich lasse euch weiter eure Geschäfte machen, und ihr haltet euch an wenige Regeln. Erstens: Ihr vergreift euch nicht an Frauen. Zweitens: Ihr vergreift euch nicht am Hund von Pep, dem Metzger hier um die Ecke.«
    »An der räudigen Töle?«, fragte der Junge. »Warum?«
    »Weil Pep mein Freund ist.« Dabei sah Christmas dem Jungen fest ins Gesicht und baute sich unmittelbar vor ihm auf. »Reicht dir das?«
    Der Junge blickte zu Boden. »Okay«, stimmte er zu. »Wir vergreifen uns nicht an Frauen, und wir vergreifen uns nicht an der räudigen Töle.«
    »Lilliput«, sagte Christmas. »Von jetzt an heißt sie auch für euch Lilliput.«
    »Lilliput ...«
    Christmas sah zu den anderen Jungen hinüber.
    »Lilliput«, tönten alle im Chor.
    Christmas streckte die Hand aus und

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