Der Junge, der Träume schenkte
Salon. Cetta nahm Christmas an den Händen und fing lachend an zu tanzen.
»Ich habe ein bisschen Angst, Mama«, gestand Christmas.
Cetta blieb stehen. Ernst sah sie ihn an. »Denk immer daran, selbst wenn sie alles Geld dieser Welt besitzen, sind sie nicht besser als du. Wenn du in Verlegenheit bist, stell sie dir beim Kacken vor.«
Christmas lachte.
»Das funktioniert«, sagte Cetta ernst. »Oma Tonia hat es mir beigebracht.«
»Beim Kacken?«
»Ja, sicher. Wenn sie etwas sagen, was du nicht verstehst, wenn du das Gefühl hast, sie wären dir überlegen, stell sie dir einfach vor, wie sie auf dem Klo sitzen und mit puterrotem Gesicht einen Haufen herauspressen.«
Wieder lachte Christmas.
»Na los, du bist ganz verstrubbelt, komm mal her.« Cetta ging mit ihm in die Küche und glättete ihm mit einem Kamm das blonde Haar. Dann tauchte sie einen Lappen in die Waschschüssel und rieb ihm damit durchs Gesicht. Mit einem Stück Seife wusch sie ihm die Hände und kratzte mit der Messerspitze das Schwarze unter seinen Fingernägeln weg. »Wie hübsch du bist, Christmas. Die Mädchen werden verrückt nach dir sein«, sagte sie stolz.
»Ruth auch?«, fragte Christmas schüchtern.
Für einen Augenblick verfinsterte sich Cettas Gesicht. »Ruth auch«, antwortete sie. »Aber lauf nicht den Reichen hinterher, such dir ein Mädchen aus dem Viertel.«
»Mama, wie verhält man sich, wenn man bei reichen Leuten zum Essen ist?«
»Na ja ... normal ...«
»Wie, normal?«
»Mach es wie sie. Beobachte sie und mach es ihnen nach. Das ist ganz leicht.«
»Ist gut ...«
»Sprich nicht mit vollem Mund und rülpse nicht.«
»Ist gut ...«
»Und sag keine Schimpfwörter.«
»Ist gut.« Christmas trat von einem Bein auf das andere. »Ich geh dann mal.«
»Warte«, rief Cetta, lief in ihr Zimmer und kam mit der Geldbörse zurück. »Kauf ihr einen Strauß Blumen«, sagte sie und drückte Christmas zehn Cent in die Hand. »Blumen mitzubringen ist ziemlich schick.«
Christmas dankte seiner Mutter mit einem Lächeln und ging zur Wohnungstür. Er hatte sie bereits geöffnet, als er innehielt. »Hör zu, Mama, erzähl den Leuten nichts von dieser Sache. Ich erklär’s dir später. Sag nur, dass er ein einflussreicher Jude ist. In Ordnung?«
»Sie sind Juden?«
»Ja, Mama, aber ...«
Cetta spuckte auf den Boden. »Juden ...«, brummte sie.
»Mama!«
»Die Juden haben versucht, Sal zu töten«, sagte Cetta düster.
»Ja, ich weiß«, stöhnte Christmas.
»Ist wenigstens Ruth Amerikanerin?«
»Ja, sie ist Amerikanerin.«
»Ah, gelobt sei der Herr«, seufzte Cetta erleichtert. Plötzlich riss sie die Augen auf, als wäre ihr ein entscheidendes Detail eingefallen. »Warte. Das Parfüm. Ich gebe dir ein bisschen von meinem Parfüm.«
»Nein, Mama, das ist Frauenkram.« Christmas flüchtete die Treppe hinunter.
Auf der Straße erwartete ihn Santo inmitten einer kleinen Menschenmenge. Der Rolls-Royce war von Kindern umringt. Gleichmütig saß Fred hinter dem Steuer. Als er Christmas entdeckte, stieg er aus dem Wagen und hielt ihm die Tür auf.
»Wohin fährst du?«, wollte Santo wissen.
»Zum großen Boss persönlich«, antwortete Christmas laut, damit jeder ihn hörte. »Er hat mich zum Essen eingeladen. Wir haben etwas Geschäftliches zu besprechen.«
Ein Raunen ging durch die Menge.
Christmas gab Santo die zehn Cent. »Geh ein paar Blumen für mich kaufen. Die schönsten, die du kriegen kannst. Aber beeil dich!«
Santo rannte zum Blumenhändler an der Ecke. Er wusste, er durfte keine Fragen stellen. Regel Nummer eins der Gang hatte er verinnerlicht. Wenn du’s nicht gleich kapierst, kapierst du’s später. Und wenn du’s auch später nicht kapierst, denk daran, es gibt immer einen Grund. Wenig später kam er atemlos mit dem Blumenstrauß zurück und gab Christmas die zwei Cent Restgeld.
»Geh und kauf dir eine Limonade«, sagte Christmas und warf ihm die Münze zu. Mit einem Blick in die Menge, die ihn umringte, erklärte er dann: »Es ist ziemlich schick, einer Dame Blumen mitzubringen.« Schließlich stieg er ins Auto und ließ Fred die Tür schließen.
In dem Augenblick dröhnte aus dem ersten Stock laute Musik auf die Straße. Christmas sah aus dem Auto nach oben. Freudestrahlend und schön tauchte Cetta im Fenster auf, in der Hand den Lautsprecher des Radios, das sie den Leuten auf der Straße vorführen wollte. Aber nur ein kleiner Teil des Lautsprechers ragte hinaus. Cetta zog noch einmal kräftig, und
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