Der Junge, der Träume schenkte
auszupeitschen, hatte Bill gedacht. Hätte er gewusst, wie man eine Bombe zündet, er hätte sie alle miteinander in die Luft gejagt.
»Dreckschweine«, stammelte er halb erfroren.
Er war außer sich. Und die Wut – mehr noch als die Furcht, auf dem elektrischen Stuhl geröstet zu werden – gab ihm die Kraft durchzuhalten. Wenn es ihm möglich gewesen wäre, hätte er auch Bomben in die Verlagshäuser der Zeitungen geworfen, die derartige Lügen abdruckten, wie er sie gelesen hatte. Sein Vater war so etwas wie ein Held geworden, ein deutscher Einwanderer, der hart für die Stadt New York gearbeitet hatte. Ein Symbol für all die ehrlichen Männer, die sich still und klaglos die Last der niedersten Arbeiten aufluden. Ja, Bill hätte am liebsten eine Bombe in jedes dieser Zeitungshäuser geworfen und dann die Sprösslinge dieser verfluchten Journalisten in die Obhut jener stillen und ehrlichen Fischmarktarbeiter gegeben, damit auch diese Kinder für die Lügen ihrer Väter bezahlten. Mit Freuden hätte Bill die Gürtelstriemen auf ihren Rücken gezählt. Der amerikanische Traum, was für ein Schwachsinn. Er, Bill, würde ihre zarte, an warme Bäder und Wollsachen gewöhnte Haut spüren lassen, wie sich das Knallen des amerikanischen Albtraums anfühlte.
»Dreckschweine«, fluchte er abermals und rutschte dabei für eine Sekunde von dem Pfahl ab, der den Landungssteg über seinem Kopf stützte. Er hustete das Wasser aus, das ihm in den Hals geschwappt war, und begann erneut mit den Zähnen zu klappern.
Blondes Haar, blaue Augen, mittlere Größe, mittlere Statur , hieß es in den Polizeimeldungen, die von den Zeitungen verbreitet wurden.
Bill versuchte zu lachen. Aber er zitterte zu stark. »Dann findet mich mal«, sagte er leise. Wie viele Personen entsprachen einer derart allgemeinen Beschreibung? Beinahe sämtliche Einwohner New Yorks, einmal abgesehen von den Niggern, den Drecksjuden und den Italienern.
In der Ferne stieß die Fähre einen dreifachen Sirenenton aus. Der Steg über seinem Kopf bebte, als die Landungshelfer in ihren robusten Schuhen heranschlurften. Eine weitere Schiffsladung Ratten für den großen amerikanischen Traum, dachte Bill. Es war fast so weit. Er hatte es fast geschafft.
Weder die Zeitungen noch die Polizei hatten ein Foto von ihm. Niemals würden sie ihn finden. Aber sie kannten seinen Namen. In riesigen Lettern hatte er in allen Zeitungen gestanden, die Zeitungsschreier riefen ihn durch sämtliche Straßen der Stadt. William Hofflund, William Hofflund, William Hofflund ... Sein Ausweis würde ihn entlarven. Wenn er sich nicht einen anderen Namen und andere Papiere zulegte, würde man ihn früher oder später erwischen.
Während die Fähre sich näherte, schwamm Bill von Pfahl zu Pfahl, bis er an eine kleine Sprossenleiter kam, die aus dem Wasser hinauf auf den Landungssteg führte. Alles würde sich innerhalb weniger Augenblicke abspielen. Im eiskalten Wasser durchzuhalten, war der härteste Teil gewesen, nun jedoch kam der heikelste Teil. Wenn er den überstand, war es so gut wie geschafft. Er zog sich hoch auf einen Querbalken zwischen zwei Pfählen, gleich neben der Leiter. Falls einer der Landungshelfer sich vorbeugte, um ins Wasser zu spucken, bestand die Gefahr, dass er ihn entdeckte. Bill hielt den Atem an und versuchte, das Zähneklappern zu unterdrücken. Aber es gelang ihm nicht. Also schob er die Zunge zwischen die Zähne. Es war schmerzhaft, doch das ihm ohrenbetäubend erscheinende Geräusch verstummte. Das Bündel mit seinen Sachen, das er dort versteckt hatte, war trocken. Kaum hatte er den Balken erreicht, begann er, sich anzuziehen. Bald würde die Kälte ein Ende haben, sagte er sich immer wieder, während er vergeblich versuchte, mit steif gefrorenen Händen sein Hemd zuzuknöpfen. Seine Finger waren blau vor Kälte, die Lippen wie erstarrt. Es würde vorübergehen, alles würde vorübergehen. Bald.
Das erstaunte und verängstigte Gesicht seines Vaters, als er das nach Fisch stinkende Messer in seinem Bauch und dann in der Hand und im Rücken und im Hals gespürt hatte, kam Bill in den Sinn. Es war schon Ironie des Schicksals, dass ihn ausgerechnet der Gedanke an seinen Vater auf die Idee gebracht hatte. Die entscheidende Eingebung verdankte er dem Säufer mit den Fischschuppen. Ja, das war echt zum Lachen.
In Angst und Schrecken versetzt durch das, was er in den Zeitungen gelesen hatte, war Bill in der Nacht zuvor ziellos in den finstersten und einsamsten
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