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Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Titel: Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Brown
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verbieten, aber das hatte nicht funktioniert.
    Le Cardinal begann mit einer einzigen Frau, um eine »Kultur der Fürsorge« zu etablieren, die ihr eigenes »selbst erzeugtes Risiko-Bewusstsein« entwickelte. Dann wendete er vertrauensbildende Techniken, die von L’Arche stammten, an, um den Einfluss dieser von ihm ausgewählten Frau auf andere Mütter in der Gemeinde auszudehnen. Als Le Cardinal mit diesem Projekt begann, in einer Stadt mit 1200 Erwachsenen und 350 Kindern, wartete ein Kind, das eine Milchpackung konsumierte, mit einer radioaktiven Kontamination von 2000 Becquerel auf. (Eine Menge bis 100 Becquerel wird für akzeptabel gehalten oder zumindest für nicht schädigend.) Sechs Jahre später hatten Le Cardinal und sein Team die durchschnittliche Aufnahme pro Kind auf 50 Becquerel gesenkt. Das Programm hat sich seither ausgedehnt und schützt mehr als 600 000 Menschen.
    Aber Le Cardinal hatte mich nicht zum Essen eingeladen, um sich selbst zu loben. Er wollte mir sagen, dass ich die gleichen Prinzipien auch bei Walker erkennen könnte. »Für Walker, für jemanden mit einer sehr schweren geistigen Behinderung, besteht die Schwierigkeit darin, die › möglichst passende Zone des Lernens ‹ zu finden. In manchen Zonen lernen wir bequem neue Dinge. Dann gibt es eine angrenzende Zone, wo wir unter Anstrengungen lernen. Und dann gibt es eine Zone, in der wir nicht lernen können. Es ist schwer, die passende Zone zwischen dem zweiten und dem dritten Bereich zu finden, aber wenn man die richtige Frage stellt, dann kann man sie identifizieren.« Wenn ich diese Zone finden würde, konnte ich Walker vielleicht ein paar grundlegende Fähigkeiten beibringen.
    Der Trick, sagte Le Cardinal, bestand darin, etwas zu finden, was Walker wirklich wichtig war – sagen wir, nach draußen gehen, was er mehr liebt als alles andere –, und ihm dann die Mittel an die Hand geben, um seinen Wunsch zu signalisieren. Wir brauchten ein Zeichen, ein Symbol. »Wenn wir ein exaktes Symbol definieren, selbst wenn es die schlichteste Botschaft vermittelt, ist es für die Behinderten möglich, sich im Zusammenhang mit Dingen, die ihnen wichtig sind, ausdrücken zu können. Sodass Sie und Walker plötzlich durch ein Wort oder Zeichen eins sein können – von Herz zu Herz, Hand in Hand. Während das bei tausend Worten vielleicht nicht klappt, weil es zu viele Optionen gibt.«
    Walker vertraute mir bereits, wir hatten also die erste Anforderung schon erfüllt. Der nächste Schritt bestand darin, seine angrenzende Zone des Lernens zu finden, indem man ihm beibrachte, ja oder nein zu sagen – etwas, das er bislang nicht kann.
    Nein zu lernen, sei für ihn vielleicht am leichtesten, erklärte ich. »Er hat immer seinen Kopf geschüttelt und wendet immer noch sein Gesicht ab. Aber ein Ja – ein Nicken der Zustimmung, dass man dabei ist –, das ist ihm immer noch fremd.«
    »Sie müssen das herausfinden«, sagte Le Cardinal, und sein Ton war sehr nachdrücklich. »Es ist schwierig, aber immer möglich. Es dauert vielleicht ein ganzes Jahr lang, aber es ist wichtig. Es ist von grundlegender Bedeutung. Und es muss ein deutliches Zeichen sein, das jeder lesen kann, nicht bloß Sie oder Ihre Frau. Weil es seine wichtigste Chance ist, zum Ausdruck zu bringen, was er bevorzugt. Nicht mal: Willst du einen Apfel oder eine Orange? Nur: Willst du eine Orange? Nein. Einen Apfel? Ja. Das ist Freiheit. Es ist sein erster Schritt in die Freiheit. Der erste Schritt für ihn ist, wählen zu können: Das ist sein Schlüssel, um seine Intelligenz zu entdecken, selbst wenn seine Intelligenz nur sehr begrenzt ist. Das ist im Wesentlichen seine Tür in die Zukunft.«
    Le Cardinal hat Experimente durchgeführt, bei denen er behinderte Jungen, die nicht sprechen konnten, befragt hat, welches technische Gerät sie am liebsten haben wollten. Die häufigste Antwort, von der überwältigenden Mehrheit, war? Nicht ein Computer, nicht ein iPod. Das Gerät, das die Jungen wollten, war ein elektrischer Rollstuhl. Warum? »Weil ich dann Leuten, die ich mag, näher kommen kann oder weg von Leuten, die ich nicht mag«, gab Le Cardinal ihre Kommentare weiter. Vertrauen erzeugt Wünsche, Wünsche erzeugen Entscheidungsvermögen, Entscheidungsvermögen erzeugt Würde. Wenn Walker etwas auswählt, dann kann er eine gewisse Verantwortung für sich selbst übernehmen, kann versuchen, ein Stück seines Schicksals selbst zu kontrollieren. Er kann mehr Mensch sein. Es müsste gar

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