Der Junge mit dem Herz aus Holz
begrüßt hatte. Aber er war doch eher mein Freund als der Freund meines Vaters, weil wir etwa gleich alt waren. Und dann war da der Dackel, der immer mal wieder vorbeikam, um ein bisschen zu plaudern. Er und Poppa haben sich sehr gut verstanden.«
»Ich habe den Dackel heute Morgen kennengelernt«, sagte Noah eifrig. »Er hat mir alles über den Baum vor Ihrem Laden erzählt. Er war sehr hilfsbereit. Aber andererseits war er immer schnell eingeschnappt.«
»Ja, er kann manchmal ein bisschen überempfindlich sein, aber er ist ein ausgesprochen anständiger Dackel, das muss man sagen. Er ist ein sehr guter Freund von mir. Überhaupt sind der Dackel und der Esel zurzeit meine besten Freunde.«
»Mein bester Freund ist Charlie Charlton«, sagte Noah. »Er kann Posaune spielen, und Anfang dieses Jahres hat er begonnen, es mir beizubringen, aber er sagt, ich muss noch viel üben, bis ich auch nur ein Zehntel so gut bin wie er.«
»Tja, dazu wird es jetzt gar nicht kommen«, bemerkte der alte Mann. »Weil du weggelaufen bist, meine ich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du unterwegs viele Leuten triffst, die bereit sind, dir Posaunenunterricht zu geben.«
Noah nickte mit grimmiger Miene. Daran hatte er noch gar nicht gedacht.
»Wie dem auch sei – der Esel und der Dackel haben Poppa einigermaßen Gesellschaft geleistet, solange ich weg war«, fuhr der alte Mann fort. »Aber ich habe immer gewusst, es war für ihn nicht das Gleiche, wie wenn ich da war, um ihm im Laden zu helfen und abends mit ihm Schach zu spielen. Eltern können noch so viele Freunde haben, sämtliche Esel und Dackel der Welt können sie besuchen – aber das ist alles kein Ersatz für die Kinder. Ich würde denken, deiner Mutter und deinem Vater geht es ganz ähnlich. Inzwischen haben sie ja sicher gemerkt, dass du weggelaufen bist, oder?«
»Ja«, sagte Noah mit einem Blick auf seine Uhr. »Ja, das denke ich auch.«
»Und haben sie viele Freunde, die sie besuchen?«
»Ein paar schon«, sagte Noah. »Aber sie haben keine Tiere als Freunde. Bei uns am Waldrand gibt es so was eher nicht. Dort reden vor allem die Menschen miteinander.«
»Ja, ich erinnere mich«, sagte der alte Mann. »Das war einer der Gründe, weshalb ich mich gefreut habe, dass wir hierhergezogen sind, als ich ein Junge war. Mehr Abwechslung. Aber trotzdem, wenn sie ein paar Freunde haben, wie du sagst, dann würde ich denken, dass sie dich mit der Zeit vergessen.«
Überrascht blickte Noah auf. Die Worte trafen ihn sehr – als hätte ihn jemand mit einem Holzklotz ins Gesicht geschlagen. »Ich glaube nicht, dass sie mich vergessen«, rief er empört. »Ich glaube nicht, dass sie mich je vergessen können.«
»Auch nicht, wenn du nie mehr nach Hause kommst?«
»Ich bin immer noch ihr Sohn«, sagte Noah. »Daran ändert sich doch nichts.«
»Vielleicht bekommen sie ja noch einen Sohn«, sagte der alte Mann.
»Glaube ich nicht.« Noah schüttelte den Kopf. »Nein, bestimmt nicht.«
»Na gut«, sagte der alte Mann. »Ich kenne sie ja nicht. Ich weiß nur das über sie, was du mir erzählt hast. Und du bist derjenige, der von zu Hause weggelaufen ist, nicht ich, deshalb kann ich nur annehmen, dass du gute Gründe dafür hast.«
»Als meine Mutter die Osterferien abgesagt hat, fand ich das komisch«, sagte der Junge, den Blick starr auf den Tisch gerichtet. »Und als sie das Schwimmbad in einen Strand verwandelt hat – ja, also das war auch sehr seltsam. Aber ich habe mir keine großen Gedanken gemacht. Ich dachte, sie findet das einfach toll. Aber dann auf dem Rummelplatz –«
»Deine Mutter ist mit dir auf den Rummelplatz gegangen?«, fragte der alte Mann.
»Ja.«
»Das war doch sicher schön.«
Noah nickte. »Ja, das war schön«, sagte er und holte tief Luft, weil die Erinnerung an den Nachmittag ihn immer noch quälte. »Der Tag selbst war toll. Aber am Schluss ist etwas passiert, und das hat alles kaputtgemacht.«
Kapitel 15 Ein bisschen komisch
Mrs Barleywater erschien ganz unerwartet am späten Vormittag auf dem Schulhof, gleich nachdem die Klassen herausgekommen waren, weil die Mittagspause begonnen hatte. Sie sagte zu Noah, er solle mit ihr mitkommen, sie würden den Nachmittag freimachen und etwas unternehmen.
»Wie bitte?«, fragte er fassungslos. Seine Mutter hatte ihm noch nie erlaubt, die Schule zu schwänzen, nicht einmal an dem Tag, als er nicht hingehen wollte, weil er die Hausaufgaben nicht gemacht hatte und fünf Minuten das Thermometer
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