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Der Junge

Der Junge

Titel: Der Junge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. M. Coetzee
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glücklich, daß Toweel Ortiz geschlagen hat, aber er fragt sich allmählich, warum.
      Was bedeutet ihm Toweel? Warum sollte er sich nicht frei für Toweel oder Ortiz beim Boxsport entscheiden können, wie er sich beim Rugby für die Hamiltons oder die Villagers entscheiden kann? Ist er verpflichtet, Anhänger von Toweel zu sein, diesem häßlichen kleinen Mann mit den krummen Schultern, der großen Nase und den winzigen glänzend-schwarzen Äuglein, weil Toweel (trotz seines komischen Namens) Südafrikaner ist? Müssen Südafrikaner andere Südafrikaner unterstützen, auch wenn sie die gar nicht kennen?
      Der Vater ist keine Hilfe. Der Vater äußert nie etwas Überraschendes. Ausnahmslos sagt er vorher, daß Südafrika gewinnen wird, oder daß Western Province gewinnen wird, sei es beim Rugby, beim Cricket oder bei einem anderen Sport.
      »Was denkst du, wer wird gewinnen?« fordert er den Vater am Tag vor dem Spiel Western Province gegen Transvaal heraus.
      »Western Province, haushoch«, antwortet der Vater wie ein Automat. Sie hören sich die Reportage vom Spiel im Radio an, und Transvaal gewinnt. Der Vater ist ungerührt. »Nächstes Jahr gewinnt Western Province«, sagt er; »wart’s nur ab.«
      Es scheint ihm einfältig, zu glauben, Western Province werde gewinnen, nur weil man aus Kapstadt stammt. Es ist besser, man glaubt, Transvaal gewinnt, und ist dann positiv überrascht, wenn es nicht so kommt.
      In seiner Hand spürt er immer noch, wie sich das Haar seines Vaters angefühlt hat – grob, kräftig. Das Gewaltsame seiner Handlung erstaunt und verstört ihn. Er hat sich noch nie soviel Freiheit dem Vater gegenüber herausgenommen. Er möchte lieber nicht, daß es noch einmal passiert.

Dreizehn
    Es ist spät in der Nacht. Die anderen schlafen alle. Er liegt im Bett und erinnert sich. Quer über sein Bett fällt ein orangefarbener Lichtstreifen von der Straßenbeleuchtung, die in Reunion Park die ganze Nacht über brennt.
      Ihm geht durch den Kopf, was an diesem Vormittag während der Morgenandacht passiert ist, während die evangelischen Christen ihre Kirchenlieder sangen und die Juden und Katholiken frei herumstreiften. Zwei ältere Jungen, Katholiken, hatten ihn in einer Ecke gestellt. »Wann kommst du zum Katechismus?« hatten sie wissen wollen. »Ich kann nicht zum Katechismus kommen, ich muß freitagnachmittags immer Besorgungen für meine Mutter machen«, hatte er gelogen. »Wenn du nicht zum Katechismus kommst, kannst du kein Katholik sein«, hatten sie gesagt. »Ich bin Katholik«, hatte er beharrlich behauptet und wieder gelogen.
      Wenn das Schlimmste geschehen sollte, denkt er jetzt und sieht dem ins Auge, wenn der katholische Priester seine Mutter aufsuchen und fragen würde, warum er nie zum Katechismus kommt, oder – der andere Alptraum – wenn der Schulrektor ankündigen sollte, daß alle Jungen mit Afrikaans-Namen in Afrikaanerklassen versetzt würden – wenn der Alptraum Realität werden sollte und ihm nichts weiter übrig bliebe, als sich auf bockiges Schreien, Toben und Heulen zu verlegen, sich in die kindische Art zu flüchten, die, wie er weiß, noch in ihm steckt, zusammengerollt wie eine Feder – wenn er sich nach diesem Sturm in einem letzten, verzweifelten Schritt in den Schutz seiner Mutter begeben und sich weigern würde, in die Schule zurückzukehren, sie anflehen würde, ihn zu retten – wenn er sich in dieser Weise völlig und endgültig blamieren und offenbaren sollte, was nur er auf seine Art und die Mutter auf ihre und vielleicht der Vater auf seine eigene verächtliche Art wissen, daß er nämlich noch ein Baby ist und nie erwachsen werden wird – wenn alle Geschichten, die über ihn entstanden sind, durch ihn selbst, durch jahrelanges normales Verhalten – zumindest in der Öffentlichkeit, wenn diese Geschichten in sich zusammenfallen sollten und sein häßlicher, finsterer, jämmerlicher, kindischer Kern sichtbar würde, so daß alle ihn erkennen und darüber lachen könnten, gäbe es dann noch eine Chance für ihn weiterzuleben? Wäre es dann nicht um ihn bestellt wie um eins der mißgebildeten, behinderten, mongoloiden Kinder mit heiseren Stimmen und sabberndem Mund, die man auch gleich mit Schlaftabletten umbringen oder erdrosseln könnte?
      Die Betten in diesem Haus sind alle alt und müde, ihre Federböden hängen durch, sie quietschen bei der kleinsten Bewegung. Er liegt so still er kann in dem Lichtstrahl, der durchs Fenster fällt, er

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