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Der Junge

Der Junge

Titel: Der Junge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. M. Coetzee
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eine anglikanische Kirche und einen Pfarrer mit grauem Haar und einer Pfeife, der auch als Pfadfinderführer fungiert und den einige der englischen Jungen in seiner Klasse – die echten englischen Jungen, mit englischen Familiennamen und Wohnungen im alten, grünen Teil von Worcester – familiär Pater nennen. Wenn die Engländer so reden, verstummt er. Da ist die englische Sprache, die er mit Leichtigkeit beherrscht. Da ist England und alles, wofür England steht, dem er ergeben zu sein glaubt. Aber es wird deutlich mehr verlangt, ehe man als echter Engländer akzeptiert wird: es gibt Prüfungen, und er weiß, daß er einige davon nicht bestehen wird.

Sechzehn
    Eine Abmachung ist am Telefon getroffen worden, er weiß nicht welche, doch es beunruhigt ihn. Ihm gefällt das selbstzufriedene, geheimnistuerische Lächeln nicht, das seine Mutter zeigt, das Lächeln, das besagt, daß sie sich in seine Angelegenheiten eingemischt hat.
      Es sind die letzten Tage vor ihrem Wegzug aus Worcester. Es sind auch die besten Tage des Schuljahres, wenn die Prüfungen vorüber sind und nichts zu tun bleibt, als dem Lehrer beim Ausfüllen des Zensurenhefts zu helfen.
      Mr. Gouws liest Listen mit Zensuren vor; die Jungen rechnen sie zusammen, Fach für Fach, dann rechnen sie die Prozentzahlen aus und wetteifern darum, als erster die Hand zu heben. Das Spiel ist, zu erraten, welche Zensuren zu wem gehören. Im allgemeinen kann er seine Zensuren als eine Zahlenreihe erkennen, die sich in Arithmetik zu neunzig und hundert Punkten aufschwingt und in Geschichte und Geographie bis auf siebzig Punkte absinkt.
      In Geschichte und Geographie ist er nicht so gut, weil er das Auswendiglernen haßt. Er haßt es so sehr, daß er das Lernen für Geschichts- und Geographieprüfungen bis zur letzten Minute aufschiebt, bis zur Nacht vor der Prüfung oder sogar zum Morgen der Prüfung. Er haßt sogar den Anblick des Geschichtslehrbuches mit seinem steifen schokoladenbraunen Einband und seiner langen Liste von Ursachen für etwas (die Ursachen für die Napoleonischen Kriege, die Ursachen für den Großen Treck). Seine Verfasser heißen Taljaard und Schoeman. Er stellt sich Taljaard als dünn und vertrocknet vor, Schoeman als beleibt, mit schütterem Haar und Brille; Taljaard und Schoeman sitzen sich an einem Tisch in einem Zimmer in Paarl gegenüber und schreiben übellaunige Seiten und schieben sie sich zu. Er kann sich keinen anderen Grund dafür vorstellen, daß sie ihr Buch in Englisch verfaßt haben, als daß sie den Engelse Kindern eine Lektion erteilen wollten.
      Geographie ist nicht besser – Listen von Städten, von Flüssen, von Produkten. Wenn er aufgefordert wird, die Produkte eines Landes zu nennen, beendet er seine Aufzählung immer mit Fellen und Häuten und hofft, daß er recht hat. Er kennt den Unterschied zwischen Fellen und Häuten nicht, den kennt auch sonst keiner.
      Und was die Prüfungen sonst angeht, so freut er sich nicht gerade auf sie, aber wenn die Zeit gekommen ist, stürzt er sich willig hinein. Er ist ein Prüfungsmensch; wenn es keine Prüfungen gäbe, bei denen er sich hervortun könnte, gäbe es kaum etwas Besonderes an ihm. Prüfungen versetzen ihn in einen Rauschzustand, in dem er vor Erregung zittert und in dem er schnell und selbstbewußt schreibt. Er liebt diesen Zustand nicht um seiner selbst willen, aber es ist beruhigend zu wissen, daß man ihn bei Bedarf nutzen kann.
      Manchmal kann er, wenn er zwei Steine gegeneinanderschlägt, diesen Zustand provozieren, diesen Geruch, diesen Geschmack: Pulver, Eisen, Hitze, ein unablässiges Pochen in den Adern.
      Das Geheimnis hinter dem Telefonanruf und hinter dem Lächeln seiner Mutter offenbart sich in der Vormittagspause, als Mr. Gouws ihn auffordert, noch etwas zu bleiben. An Mr. Gouws Gehabe ist etwas Unnatürliches, eine Freundlichkeit, der er mißtraut.
      Mr. Gouws möchte ihn zum Tee zu sich nach Hause einladen. Stumm nickt er und prägt sich die Adresse ein.
      Er möchte das nicht. Nicht etwa, daß ihm Mr. Gouws unsympathisch ist. Wenn er zu ihm nicht so viel Vertrauen hat, wie er in der vierten Klasse Vertrauen zu Mrs. Sanderson hatte, dann nur, weil Mr. Gouws ein Mann ist, der erste Lehrer, den er gehabt hat, und er ist auf der Hut vor etwas, was von allen Männern ausgeht: eine Unruhe, eine kaum gezügelte Roheit, eine Andeutung von Vergnügen an der Grausamkeit. Er weiß nicht, wie er sich Mr. Gouws oder Männern gegenüber verhalten soll,

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