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Der Junge

Der Junge

Titel: Der Junge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. M. Coetzee
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ausgeben.
      Die echten Engländer besuchen keine Schule wie St. Joseph.
      Aber auf den Straßen von Rondebosch kann er sie jeden Tag sehen, unterwegs zu ihren Schulen oder auf dem Nachhauseweg, kann ihr glattes blondes Haar und den goldenen Teint bewundern, ihre Sachen, die nie zu klein oder zu groß sind, ihr ruhiges Selbstvertrauen. Sie hänseln sich unbefangen, ohne die Roheit und Plumpheit, die er kennt. Er hat nicht den Ehrgeiz, sich zu ihnen zu gesellen, doch er beobachtet sie und versucht, sich etwas abzugucken.
      Die Jungen vom Diözesan-College, die am britischsten von allen sind und sich nicht einmal herablassen, zu Rugbyoder Cricketmatchs gegen St. Joseph anzutreten, wohnen in ausgesuchten Vierteln, von denen er, da sie weit entfernt von der Bahnstrecke liegen, nur hört und die er nie betritt: Bishopscourt, Fernwood, Constantia. Sie haben Schwestern, die Schulen wie Herschel und St. Cyprian besuchen und die sie liebenswürdig behüten und beschützen. In Worcester hat er kaum ein Mädchen angeschaut – seine Freunde schienen immer Brüder zu haben, keine Schwestern. Jetzt bekommt er zum ersten Mal die Schwestern der englischen Jungen zu sehen, so goldblond, so schön, daß er nicht glauben kann, daß sie von dieser Welt sind.
     
    Um pünktlich 8.30 Uhr in der Schule zu sein, muß er 7.30 Uhr aus dem Haus gehen: eine halbe Stunde Fußweg zum Bahnhof, fünfzehn Minuten Bahnfahrt, fünf Minuten zu Fuß vom Bahnhof zur Schule, und ein Polster von zehn Minuten, falls es Verspätungen gibt. Weil er aber Angst vorm Zuspätkommen hat, geht er schon um sieben aus dem Haus und ist um acht in der Schule. Dort kann er im gerade vom Hausmeister aufgeschlossenen Klassenzimmer an seinem Tisch sitzen, den Kopf auf die Arme legen und warten.
      In Alpträumen liest er die Uhrzeit falsch ab, verpaßt Züge, verläuft sich. In seinen Alpträumen weint er in hilfloser Verzweiflung.
      Die Brüder De Freitas sind die einzigen, die noch vor ihm da sind. Ihr Vater, ein Gemüsehändler, setzt sie im Morgengrauen, wenn er mit seinem zerbeulten blauen Lastwagen unterwegs zum Salt-River-Großmarkt ist, an der Schule ab.
      Die Lehrer an der St.-Joseph-Schule gehören dem Maristen-Orden an. Diese Brüder in ihren ernsten schwarzen Soutanen und weißen Stehkragen sind für ihn besondere Menschen. Ihre geheimnisvolle Aura beeindruckt ihn: das Geheimnis ihrer Herkunft, das Geheimnis der Namen, die sie abgelegt haben.
      Er mag es nicht, wenn Bruder Augustine, der Crickettrainer, zu den Trainingsstunden wie ein normaler Mensch in weißem Hemd und schwarzen Hosen und Cricketschuhen kommt.
      Besonders mißfällt ihm, wenn Bruder Augustine als Schlagmann an der Reihe ist und sich einen Schutz, ein »Suspensorim«, in die Hose schiebt.
      Er weiß nicht, was die Brüder machen, wenn sie nicht unterrichten. Zu dem Flügel des Schulgebäudes, wo sie schlafen, essen und ihr Privatleben führen, ist der Zutritt verboten; er hat nicht den Wunsch, da einzudringen. Er würde gern glauben, daß sie dort ein strenges Leben führen, um vier Uhr früh aufstehen, Stunden im Gebet zubringen, genügsam essen, ihre eigenen Socken stopfen. Wenn sie sich schlecht benehmen, tut er sein Bestes, um sie zu entschuldigen. Wenn zum Beispiel Bruder Alexis, der fett und unrasiert ist, unzivilisiert einen fahren läßt und in der Afrikaans-Stunde einschläft, erklärt er sich das, indem er sagt, Bruder Alexis ist ein intelligenter Mann, für den das Unterrichten unter seiner Würde ist. Wenn Bruder Jean-Pierre plötzlich als Aufseher im Schlafsaal der jüngeren Schüler abgelöst wird und das von Geschichten begleitet wird, daß er was mit kleinen Jungen hatte, dann verdrängt er diese Geschichten einfach. Für ihn ist es unvorstellbar, daß geistliche Brüder sexuelle Bedürfnisse haben und ihnen nicht widerstehen sollten.
      Da nur wenige der Brüder Englisch als Muttersprache sprechen, hat man einen katholischen Laien für die Englischstunden eingestellt. Mr. Whelan ist Ire – er haßt die Engländer und verbirgt seine Abneigung gegenüber Protestanten kaum. Er bemüht sich auch nicht um korrekte Aussprache der Afrikaans-Namen und bringt sie mit abschätzig geschürzten Lippen hervor, als wären sie heidnisches Kauderwelsch.
      Die meiste Zeit des Englischunterrichts geht mit Shakespeares Julius Cäsar drauf, und Mr. Whelans Methode ist dabei, den Jungen Rollen zuzuteilen und sie ihren Text dann laut vorlesen zu lassen. Sie machen auch Übungen

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