Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Junker von Ballantrae

Titel: Der Junker von Ballantrae Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
Vom Netzwerk:
saß er da, biß auf seine Finger und starrte auf den Boden, ein höchst unchristlicher Anblick.
    Mich überkam ein wenig Verachtung vor dem Mann, denn ich sagte mir, daß ein Soldat und ein Edelmann sein Ende philosophischer hinnehmen müsse. Ich gab ihm deshalb keine Antwort, und bald darauf nahte die Nacht so kühl, daß ich froh war, aus eigenem Interesse ein Feuer entzünden zu können. Und doch grenzte diese Handlung weiß Gott an Irrsinn, da der Platz offen lag und das Land von Wilden überrannt war. Ballantrae schien mich nicht mehr zu sehen, aber schließlich, als ich dabei war, etwas Korn zu rösten, blickte er auf.
    »Habt Ihr jemals einen Bruder gehabt?« fragte er.
    »Dem Himmel sei Dank«, antwortete ich, »nicht weniger als fünf.«
    »Ich habe nur den einen«, sagte er mit eigenartiger Stimme, und gleich darauf: »Er soll mich für all dies bezahlen!« Und als ich ihn fragte, was sein Bruder mit unserem Mißgeschick zu tun habe, schrie er: »Wie? Er sitzt an meinem Platz, er trägt meinen Namen, er liebt mein Weib, und ich bin hier allein mit einem verfluchten Irländer in dieser Wüste, daß mir die Zähne klappern! Oh, welch ein elender Tor bin ich gewesen!«
    Dieser Ausbruch widersprach so vollkommen der Natur meines Freundes, daß alle gerechte Empfindsamkeitin mir erstarb. Gewiß erscheint ein beleidigender Ausdruck, auch wenn er heftig hervorgestoßen wird, unter so verzweifelten Umständen als äußerst geringfügige Angelegenheit, aber hier machte sich eine sonderbare Sache bemerkbar. Er hatte bisher nur einmal die Dame erwähnt, zu der er in Beziehungen gestanden hatte. Das war damals, als wir in die Nähe von New York kamen und er mir erzählte, daß er jetzt sein eigenes Besitztum sehen könnte, wenn alles mit rechten Dingen zugegangen wäre, denn Miß Graeme verfügte über große Güter in dieser Provinz. Das war ohne Zweifel ein natürlicher Anlaß gewesen, aber jetzt erwähnte er sie ein zweites Mal, und es ist sicher angebracht, zu berichten, daß gerade in diesem Monat, nämlich im November 1747, und ich glaube, gerade an jenem Tage, als wir zwischen diesen wilden Gebirgen saßen, sein Bruder und Miß Graeme heirateten. Ich bin durchaus nicht abergläubisch, aber die Hand der Vorsehung zeigte sich hier zu deutlich, um unbeachtet zu bleiben.
Anm. Mr. Mackellars: Ein völliger Irrtum, denn an diesem Tage wurde kein Wort von der Hochzeit erwähnt. Man vergleiche meinen eigenen Bericht.
    Der nächste und übernächste Tag wurde unter ähnlichen Anstrengungen verbracht, und Ballantrae entschied oft über die Richtung, indem er eine Münze hochwarf. Als ich diesem kindischen Benehmen einmal widersprach, machte er eine sonderbare Bemerkung, die ich niemals vergessen habe. »Ich weiß keinen besseren Weg«, sagte er, »um meiner Verachtung der menschlichen Vernunft Ausdruck zu verleihen.«
    Ich glaube, es war der dritte Tag, als wir den Leichnam eines Christen fanden, der skalpiert und höchst unwürdig verstümmelt war. Er lag in der Lache seines Blutes, und die Vögel der Wildnis schrien um ihn herum wie Fliegenschwärme. Ich vermag nicht zu beschreiben, wie entsetzlich dieser Anblick für uns war, aber er raubte mir alle Kraft und alle Hoffnung dieser Welt. Am gleichen Tage, und nur ein wenig später, stolperten wir durch einen Teil des Waldes, der niedergebrannt worden war, und plötzlich bückte sich Ballantrae, der ein wenig voraus war, hinter einen niedergestürzten Stamm. Auch ich benutzte die Deckung, und wir konnten rundum blicken, ohne selbst gesehen zu werden, und bemerkten im Grunde des nächsten Tales einen großen Kriegszug von Wilden, der unsere Richtung kreuzte. Sie mochten ungefähr ein kleines Bataillon stark sein, alle nackt bis zum Gürtel, geschwärzt mit Fett und Ruß und bemalt mit weißer und roter Farbe, wie es ihre viehische Sitte war. Sie gingen hintereinander wie eine Gänseherde, mit raschen Schritten, so daß sie nach kurzer Zeit vorbeigetrottet und in den Wäldern verschwunden waren. Aber ich glaube, wir erduldeten in diesen wenigen Minuten größere Todesangst der Verzagtheit und Hilflosigkeit, als ein Mensch gewöhnlich während seines ganzen Lebens erleidet. Ob es französische oder englische Indianer waren, ob sie Skalpe oder Gefangene wollten, ob wir uns auf gut Glück zeigen oder ruhig verhalten und unsere herzzerbrechende Mühsal wieder auf uns nehmen sollten: alle diese Fragen hätten, glaube ich, selbst den Verstand eines Aristoteleslebhaft

Weitere Kostenlose Bücher