Der Junker von Ballantrae
hatte.
»Ich bin nur ein Diener der Familie«, sagte ich, »Sie können offen zu mir sprechen. Ich fürchte, wir haben wenig Gutes von ihm zu erwarten!«
»Verehrter Herr«, sagte der Oberst, »Ballantrae ist ein Edelmann von höchst bedeutsamen, natürlichen Gaben, ein Mann, den ich bewundere und den ich verehre, ich ehre sogar den Boden, auf dem er steht.« Und dann schwieg er eine Weile, als ob er verlegen sei.
»Aber trotzdem«, sagte ich, »werden wir wahrscheinlich wenig Gutes von ihm erfahren!«
»Gewiß«, antwortete der Oberst, »aber machen Sie Ihren eigenen Vers darauf, verehrter Herr.«
Wir waren inzwischen bei der Bucht angelangt, an deren Ufer das Boot auf ihn wartete. »Nun«, sagte er, »ich bin Ihnen ohne Zweifel sehr verpflichtet für Ihre große Liebenswürdigkeit, Herr Soundso, und zu guter Letzt will ich Ihnen gegenüber, der Sie mir soviel wohlwollendes Interesse entgegengebracht haben, einen kleinen Umstand erwähnen, der Ihrer Familie von Nutzen sein kann. Denn ich glaube, mein Freund vergaß zu erwähnen, daß er die höchste Pension bezieht aus dem schottischen Flüchtlingsfonds in Paris, und das ist um so schändlicher, mein Herr«, rief der Oberst bewegter aus, »weil für mich kein lausiger Pfennig vorhanden ist.«
Er schwang seinen Hut gegen mich, als ob ich schuld sei an dieser Parteilichkeit, aber dann wurde er wieder bezaubernd höflich, schüttelte mir die Hand und ging hinunter zum Boot, das Geld unter dem Arm. Er pfiff dabei das pathetische Lied aus Shule Aron. Ich hörte die Melodie damals zum ersten Male, aber später hörte ich sie wieder mitsamt den Worten, wie man erfahren wird. Ich erinnere mich deutlich, wie die kurze Strophe in meinem Gehirn haften blieb, als die Schmuggler ihm zugerufen hatten: »Rasch, in des Teufels Namen!« und das Klatschen der Ruder das Lied unterbrach. Ich stand da und beobachtete, wie die Morgendämmerung über dem Meere heraufkroch, das Boot sich langsam entfernte und drüben der Kutter mit gerefften Focksegeln dalag, der es erwartete.
Das Loch, das in unsern Geldbeutel gerissen war, war schwer zu stopfen und hatte unter anderem die Folge, daß ich nach Edinburgh reiten und unter sehr ungünstigen Bedingungen eine neue Anleihe aufnehmen mußte, um den Verpflichtungen aus der alten nachkommen zu können, und so war ich nahezu drei Wochen von Durrisdeer abwesend.
Was in der Zwischenzeit geschehen war, erzählte mir niemand. Aber ich stellte bei meiner Rückkehr fest, daß Mrs. Henry ihr Verhalten sehr geändert hatte. Die früheren Unterhaltungen mit dem Lord unterblieben meistens, es machte sich deutlich bemerkbar, daß sie ihrem Gatten etwas abbitten wollte, und nach meiner Beobachtung richtete sie jetzt öfter das Wort an ihn. Auf alle Fälle war sie nun gegen die kleine Katharine sehr zärtlich. Man möchte denken, daß dieser Wechsel Mr. Henry angenehm war, aber das war keineswegs der Fall. Im Gegenteil, jede Änderung in ihrem Verhalten war ein Dolchstoß für ihn, er erblickte in allem ein Zugeständnis trügerischer Launen. Die Treue gegen den Junker, auf die sie stolz war, solange sie ihn tot glaubte, machte sie jetzt erröten, da sie wußte, daß er noch lebte. Und diese Beschämung war der Grund für den Umschwung ihres Benehmens, den er verachtete. Ich will die Wahrheit nicht bemänteln und offen gestehen, daß die Haltung Mr. Henrys in dieser Zeit mir als sehr unwürdig vorkam. Nach außen beherrschte er sich allerdings, aber unter der Oberfläche konnte man eine tiefe Verstimmung wahrnehmen. Mir gegenüber, auf den er weniger Rücksicht nahm, war er oft höchst ungerecht.Und selbst seine Frau wies er manchmal scharf zurecht, wenn sie ihn vielleicht durch Liebenswürdigkeiten reizte, die er nicht wünschte; aber auch ohne sichtbaren Grund kam seine dauernd schlechte Laune unwillkürlich zum Durchbruch. Vergaß er sich auf diese Weise, was durchaus in Widerspruch stand zu ihrem sonstigen gegenseitigen Verhältnis, so ging ein Erschrecken durch die ganze Gesellschaft, und die Augen des Paares begegneten sich in peinvollem Erstaunen.
Während er sich selbst in dieser Zeit unrecht tat durch Mangel an Beherrschung, untergrub er seine wirtschaftlichen Verhältnisse durch hartnäckiges Schweigen, von dem ich nicht weiß, ob ich es als Folge seiner Freigebigkeit oder seines Stolzes bezeichnen soll. Immer wieder kamen die Schmuggler, brachten Briefe vom Junker, und keiner ging mit leeren Händen fort. Ich durfte nie mit Mr. Henry
Weitere Kostenlose Bücher