Der Junker von Ballantrae
habe, aber diese Angelegenheit lastet schwer auf meinem Gewissen und muß heraus. Ist es möglich, daß zwei Menschen so blind sind wie Sie und der alte Lord? Sie haben alle diese Jahre mit einem so edlen Menschen wie Mr. Henry zusammengelebt und verstehen doch seine Natur so wenig?«
»Was soll das heißen?« rief sie aus.
»Wissen Sie nicht, wohin das Geld geht, sein und Ihr Geld und selbst das Geld für den Wein, den er jetzt bei Tisch nicht mehr trinkt?« fuhr ich fort. »Nach Paris, zu jenem Menschen! Achttausend Pfund Sterling hat er insieben Jahren aus uns herausgeholt, und mein Herr ist töricht genug, es zu verschweigen!«
»Achttausend Pfund Sterling!« wiederholte sie, »das ist unmöglich, der ganze Besitz gibt das nicht her.«
»Gott weiß, wie wir jeden Pfennig zusammengekratzt haben, um die Summe aufzubringen«, sagte ich, »aber sie beträgt achttausendundsechzig Pfund, abgesehen von einigen Schillingen. Und wenn Sie meinen Herrn jetzt noch für geizig halten, so will ich mich zum letzten Male eingemischt haben.«
»Sie brauchen mir nichts mehr zu sagen, Mr. Mackellar«, antwortete sie. »Was Sie Einmischung nennen in allzu bescheidener Weise, ist durchaus richtig gewesen. Ich verdiene scharfen Tadel, Sie müssen mich für eine sehr unachtsame Frau halten«, und sie lächelte mich sonderbar an, »aber ich werde das sofort in Ordnung bringen. Der Junker war immer unbedachtsam, aber sein Herz ist ausgezeichnet, er ist eine Seele von Edelherzigkeit. Ich werde ihm selbst schreiben. Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr mich Ihre Mitteilung schmerzt.«
»Ich hatte allerdings gehofft, gnädige Frau, Ihnen Freude zu bereiten«, sagte ich, denn ich war zornig darüber, daß sie immer noch an den Junker dachte.
»Auch Freude«, sagte sie, »selbstverständlich auch Freude.«
Am gleichen Tage – ich will nur erzählen, was ich selbst beobachtete – hatte ich die Genugtuung, Mr. Henry ganz verwandelt aus dem Zimmer seiner Frau kommen zu sehen. Sein Gesicht war vom Weinen geschwollen,und doch schien er wie auf Wolken zu wandern. Ich entnahm daraus, daß seine Frau ihm volle Genugtuung gegeben hatte. »Aha«, dachte ich bei mir selbst, »heute habe ich einen guten Streich gemacht.«
Am andern Morgen saß ich über meinen Büchern, als Mr. Henry leise von hinten auf mich zutrat, meine Schultern ergriff und mich in heiterer Laune schüttelte. »Ich stelle fest, daß Sie letzten Endes doch ein treuloser Geselle sind«, sagte er. Es war die einzige Erwähnung meiner Tat mir gegenüber, doch der Ton, in dem er das sagte, war mehr für mich als eine lange Dankesrede. Aber das war nicht alles, was ich vollbracht hatte, denn als der nächste Bote kam, was nicht viel später geschah, nahm er nur einen Brief für den Junker wieder mit. In der letzten Zeit hatte ich die Schreibereien selbst erledigt, Mr. Henry setzte die Feder nicht aufs Papier, und ich schrieb nur trockene und formale Worte. Aber diesen Brief bekam ich nicht einmal zu lesen. Er war kaum sehr erfreulich, denn Mr. Henry fühlte, daß er jetzt seine Frau hinter sich hatte, und ich konnte beobachten, daß er an dem Absendetage sehr heiter dreinblickte.
Alles verlief nun glatter in der Familie, obgleich man kaum behaupten kann, daß es gut ging. Jedenfalls herrschte jetzt kein Mißverständnis mehr, alle waren liebenswürdig gegeneinander, und ich glaube, mein Herr und seine Frau hätten sich wieder ganz finden können, wenn er seinen Stolz überwunden und sie die Gedanken an den anderen Mann aufgegeben hätte, der Hauptgrund alles Übels. Es ist sonderbar, wie geheimeGedanken sich bemerkbar machen, und es erscheint mir jetzt wie ein Wunder, daß wir alle das Spiel ihrer Gefühle verfolgen konnten. Obgleich sie sich sehr ruhig benahm und keine Launen zeigte, konnten wir doch feststellen, wann ihre Gedanken in Paris weilten. Und sollte man nicht annehmen, daß meine Eröffnungen dies Götzenbild zu Fall gebracht hätten? Ich glaube, die Frauen haben den Teufel im Leibe. Viele Jahre waren verflossen, der Mann hatte sich nicht blicken lassen, sie konnte sich an wenig Zärtlichkeiten erinnern aus der Zeit, da sie ihn noch besaß. Dann kam die Nachricht von seinem Tode, und jetzt war ihr seine herzlose Habgier bekannt. Aber alles das änderte nichts, auch jetzt noch mußte sie den ersten Platz in ihrem Herzen für diesen verfluchten Burschen frei halten, eine Tatsache, die einen einfachen Mann in Wut versetzen konnte. Ich besaß nie große
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