Der Junker von Ballantrae
Bemerkung. Er hatte seinen scharfen englischen Akzent abgelegt und sprach den liebenswürdigen schottischen Dialekt, der Wert legt auf verbindliche Worte, und obgleich seine Geste eine graziöse Eleganz besaß, die uns auf Durrisdeer fremd war, benahm er sich doch mit einer vertraulichen Höflichkeit, die uns nicht beschämte, sondern uns schmeichelte. Das setzte er während der ganzen Mahlzeit fort, trank mir mit betonter Hochachtung zu, wandte sich an John mit einer freundlichen Bemerkung, streichelte die Hand seines Vaters, erzählte heitere kleine Anekdoten von seinen Abenteuern, ließ die Vergangenheit fröhlich auferstehen, kurz, alles was er tat, war so gewinnendund er selbst so liebenswürdig, daß ich mich kaum darüber wundern konnte, daß der alte Lord und Mrs. Henry mit strahlenden Gesichtern am Tisch saßen und John mit tränenden Augen servierte.
Kaum war das Abendessen beendet, als Mrs. Henry sich erhob, um sich zurückzuziehen.
»Das war doch sonst nicht deine Gewohnheit, Alison«, sagte er.
»Sie ist es jetzt«, antwortete sie, was völlig falsch war, »und ich will dir gute Nacht sagen, James, und dich willkommen heißen – von den Toten!« sagte sie, und ihre Stimme wurde leiser und zitterte.
Der arme Mr. Henry, der während der Mahlzeit ziemlich steif dagesessen hatte, war verwirrter als je zuvor. Es gefiel ihm, daß seine Frau sich zurückzog, aber mit Mißfallen dachte er an den Grund, und im nächsten Augenblick schien er von der Warmherzigkeit ihrer Worte ganz niedergeschmettert zu sein.
Ich meinerseits glaubte, daß ich jetzt überflüssig sei und wollte Mrs. Henry folgen, als der Junker es bemerkte.
»Nun, Mr. Mackellar«, sagte er, »ich muß das beinahe als unfreundlich bezeichnen. Ich will nicht, daß Sie gehen, das hieße doch, aus dem verlorenen Sohn einen Fremdling machen, und zwar, daran darf ich Sie erinnern, in seines eigenen Vaters Haus! Kommt, setzt Euch, und trinkt noch ein Gläschen mit Mr. Bally.«
»Ja, ja, Mr. Mackellar«, sagte der Lord, »wir dürfen weder ihn noch Euch als Fremdling betrachten. Ichhabe meinem Sohn erzählt«, fügte er hinzu, und seine Stimme wurde wieder warm, als er das Wort aussprach, »wie hoch wir alle Ihre freundlichen Dienste schätzen.«
So saß ich schweigend da bis zu meiner gewöhnlichen Stunde und hätte mich beinahe über die wahre Natur dieses Mannes täuschen lassen, wenn nicht durch einen Ausspruch seine Verruchtheit allzu offen zum Ausdruck gekommen wäre. Ich gebe hier diesen Teil der Unterhaltung wieder, und der Leser, der das Zusammentreffen der Brüder kennt, soll seine eigene Schlußfolgerung ziehen. Mr. Henry saß ziemlich stumm da, obgleich er sich alle Mühe gab, vor dem alten Lord Haltung zu bewahren, als der Junker plötzlich aufsprang, um den Tisch herumging und seinem Bruder die Hände auf die Schultern legte.
»Nun, nun, mein lieber Heinz«, sagte er in dem breiten Dialekt, den sie als Knaben miteinander gesprochen haben müssen, »du mußt nicht niedergeschlagen sein, weil dein Bruder eingekehrt ist. Alles gehört dir, daran ist kein Zweifel, und ich mißgönne es dir nicht. Und nun mußt du mir auch meinen Platz bei meines Vaters Feuer nicht mißgönnen.«
»Das ist nur allzu wahr, Henry«, sagte der alte Lord mit leisem Vorwurf, was selten bei ihm geschah. »Du bist der ältere Bruder der Parabel im guten Sinne gewesen und mußt nun das Gegenteil vermeiden.«
»Es ist nicht schwer, mich ins Unrecht zu setzen«, antwortete Mr. Henry.
»Wer will dich ins Unrecht setzen?« rief der Lord aus, und zwar ziemlich heftig im Vergleich zu seiner sonstigen Milde. »Du hast meinen und deines Bruders Dank tausendmal verdient, du kannst stets auf unsere Dankbarkeit rechnen, und das muß dir genügen.«
»Ja, Heinz, darauf kannst du dich verlassen«, sagte der Junker, und es schien mir, als ob Mr. Henry ihn mit fast zornigen Blicken ansah.
Vier Fragen habe ich mir bei all den elenden Angelegenheiten, die nun folgten, oft vorgelegt und stelle sie mir heute noch: Wurde dieser Mensch getrieben von einer besonderen Mißgunst gegen Mr. Henry? Oder von seinem vermeintlichen eigenen Interesse? Oder von einem bloßen Wohlgefallen an der Grausamkeit, wie Katzen und nach Ansicht der Theologen die Teufel sie zeigen? Oder aber von der Liebe, wie er sie auffaßte? Nach meiner Meinung von den ersten drei Momenten, aber vielleicht lag seinem Benehmen alles zusammen zugrunde. Ich sage mir: seine Abneigung gegen Mr. Henry mag seine
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